Kant: Briefwechsel, Brief 777, Von Friedrich August Hahnrieder.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Friedrich August Hahnrieder.      
           
  19. Sept. 1797.      
           
  Achtungswürdiger Mann!      
           
  Die Nachricht die mir HE Doktor Biester von Ihrem Wohlbefinden      
  mittheilte hat mir unendlich viel Freude verursacht, zugleich erfahre      
  ich, daß Sie ohnerachtet Ihres hohen Alters doch noch arbeiten und      
  der Menschheit dadurch nüzzen wollen. Dieser Vorsaz überzeugt mich      
  vollends, daß Sie die uneingeschränkteste Achtung aller redlich Gesinnten      
  verdienen. Ohne Zweifel haben wir von Ihnen also noch Belehrungen      
  zu erwarten, die gewis sehr intereßant seyn werden, und ich würde      
  mich nicht erdreisten Sie zur Bearbeitung eines Gegenstandes aufzufordern,      
  wenn er mir nicht so nahe am Herzen läge, er betrift die      
  Verbreitung von Kenntnißen und Berichtigung der Urteile unter der      
  großen Volksklaße; so schwierig dieses Unternehmen beim ersten Anblik      
  scheint, so leicht ist es in der Ausführung, ich spreche hier aus Erfahrung;      
  zu Anfange meiner Lehrzeit that ich einer Gesellschaft von      
  Tischlergesellen den Vorschlag, wöchentlich einige Abende dazu anzuwenden,      
  um durch Lektüre und wißenschaftliche Unterhaltungen den      
  Geist zu kultiviren, mein Vorschlag wurde angenommen, und meine      
  Bemühungen in Mittheilung von Kenntnißen und Berichtigung der      
  Urteile sind nicht fruchtlos gewesen, wenn es mir also geglükt hat      
  etwas wirken zu können so sehe ich gar keinen Grund ein, warum es      
  jedem andern misglükken sollte, und wie viel Menschen in jedem Stande      
  giebt es nicht, die der großen Klaße auf diese Art nüzlich seyn könnten      
  und hauptsächlich zu dem großen Zwekke hinarbeiten könnten, die      
  Menschen auf ihren eignen Vernunftgebrauch aufmerksam zu machen;      
  Studenten, Profeßoren, Prediger auf dem Lande und in den Städten,      
  Güterbesizzer, Hofmeister auf dem Lande, Iustizpersonen und überhaupt      
  jeder kultivirte Mann könnte ganz bequem dieser Pflicht einige Zeit      
  aufopfern, aber eine Hauptbedingung dabei ist die, daß es unentgeldlich      
           
  geschähe, denn eben dadurch kann das meiste bewirkt werden, wenn      
  gezeigt wird, daß es Pflicht ist für das Wohl seiner Nebenmenschen      
  zu sorgen ohne weiter Vorteile davon zu haben, Beispiele wie Sie      
  selbst in der Tugendlehre sagen, tragen zur Kultur des großen Haufens      
  das meiste bei, und ich habe diese Behauptung durch selbst gemachte      
  Erfahrungen bestätigt gefunden. Wenn Sie sich daher bemühen wollten      
  in dieser Hinsicht eine Aufforderung an alle Menschen die ihrer hohen      
  Würde gemäs handeln wollen ergehen zu laßen und zugleich eine      
  Methode vorschlügen der dem Zwekke entspräche, so würde die Menschheit      
  unendlich viel gewinnen. O thun Sie es! ich bitte Sie bei allem      
  was Ihnen heilig ist darum, ich versichere Ihnen daß ein einziger      
  Aufsaz von Ihnen in dieser Hinsicht eine außerordentliche Würkung      
  hervorbringen würde. In der festen Uberzeugung keine Fehlbitte gethan      
  zu haben bin ich mit aller Achtung      
           
    Ihr      
    aufrichtig ergebner      
    Freund      
  Berlin den 19ten Sept. Hahnrieder.      
  1797.        
           
           
           
     

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