Kant: Briefwechsel, Brief 754, Von Iacob Sigismund Beck. |
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Von Iacob Sigismund Beck. | |||||||
Halle den 20ten Iuny 1797 | |||||||
Hochachtungswürdiger Mann, | |||||||
Ich kann es mir wohl denken, wie ein Mann, der, indessen er | |||||||
dem Ziel sich nähert, zu seinen Vätern zu gehen, sich bewußt ist, ein | |||||||
großes Gut der Nachwelt zu hinterlassen, wornach alle Vorwelt, als | |||||||
nach der interessantesten Angelegenheit, so lange und doch so vergeblich | |||||||
gerungen hat, bey der Nachricht daß diese Wohlthat in Gefahr | |||||||
gesetzt worden, unmöglich gleichgültig seyn könne. So wie ich Sie, | |||||||
Herrlicher, Weiser Mann kenne, so bin ich versichert, daß Sie Ihres | |||||||
innern großen Werths sich bewußt, über die Nachricht, daß einFremder | |||||||
Ihre Arbeiten und wichtige Entdeckungen sich zugeeignet habe, sich wohl | |||||||
wegsetzen würden; aber daß ein böser Feind Unkraut unter Ihrem | |||||||
Weizen gesäet habe, daß das Gut selbst, das Sie gegründet haben, | |||||||
verdorben, und, wie Herr Hofprediger Schultz sich ausdruckt in der | |||||||
Wurzel angegriffen worden, das kann der tugendhafte Mann unmöglich | |||||||
mit gleichgültigen Augen ansehen. Ich eile Ihnen diese Besorgni | |||||||
zu benehmen, indessen ich mich herzlich freue, diesmahl von der | |||||||
mir interessantesten Sache, unmittelbar und ohne Beystand eines Referenten, | |||||||
mit meinem grossen Lehrer mich unterhalten zu können, wenn | |||||||
es gleich mir allerdings wehe thut, jene unangenehme Empfindungen | |||||||
bey Ihnen veranlast zu haben. | |||||||
Sie wissen es wohl aus eigener Erfahrung, daß in den sehr | |||||||
schweren transcendentalphilosophischen Untersuchungen, man nur durch | |||||||
vielfach widerholtes und scharfes Nachdenken endlich dahin kommt, sich | |||||||
selbst vollkommen verständlich zu seyn, und daß, bevor man diesen | |||||||
Zustand erreicht hat, es auch nicht gut thunlich ist, andern verständlich | |||||||
zu werden. Wenn nun Herr Hofprediger Schultz in meinen | |||||||
unter dem Titel, die critische Philosophie erläuternden, ihren wahren | |||||||
Standpunct darstellenden Schriften, so viel gerade auf den Umsturz | |||||||
derselben gerichtete Momente erblickt, daß ich gar fast glaube, der | |||||||
würdige, gute, mir sonst sehr liebe Mann möchte mich vieleicht für | |||||||
den tückischen Feind derselben halten, der unter der Maske der Anhänglichkeit | |||||||
auf ihren Ruin ausgeht, wie ich geneigt bin zu glauben, | |||||||
daß er manchen vorgeblichen Freund der christlichen Religion für den | |||||||
boshaftesten Widersacher derselben hält, so dürfte dieses wenigstens | |||||||
wohl ein Beweis a posteriori seyn, daß ich in meinen Schriften, ob | |||||||
ich gleich darin den Boden aller Verständlichkeit ebenen und bearbeiten | |||||||
wollte, ich mich doch selbst noch nicht recht wohl darin verstanden habe. | |||||||
Mit menschlichen Arbeiten geht es aber nun einmahl nicht anders, | |||||||
als daß sie unvollkommen ausfallen und ein Transcendentalphilosoph | |||||||
kommt nur nach und nach dahin, die Principien zu allen objectiv gültigen | |||||||
Begriffen selbst auf Begriffe zu bringen und sie dann, weil er | |||||||
sich dann selbst nicht mehr mißversteht, auch andern so mitzutheilen, | |||||||
daß sie ihn verstehen können. Ich glaube daher gar nicht mich schämen | |||||||
zu dürfen, wenn ich frey bekenne, daß seit den anderthalb Iahren, da | |||||||
ich mit meinem Grundriß fertig wurde, seit welcher Zeit ich jede Gelegenheit | |||||||
ergrif, die meine wissenschaftliche Arbeiten mir anboten, um | |||||||
mein Auge auf das Object der Transcendentalphilosophie fallen und | |||||||
darauf ruhen zu lassen, daß seit dieser Zeit, ich in vielen Stellen die | |||||||
Sache besser als vorhin getroffen habe, und daß noch ehe ich Ihren | |||||||
Brief erhielt, ich mir schon vorgenommen hatte, Retractationen meiner | |||||||
Arbeit abzufassen. Allein ich glaubte dieses Geschäft für eine künftige | |||||||
Ausgabe meines Grundrisses aufbewahren zu können. Ich bemerke | |||||||
aber, daß ich darunter auch nur solche Retractationen meyne, wie ich | |||||||
glaube daß der heil. Augustin meynte. Ich glaube nämlich nicht eben | |||||||
Falschheiten in meinen Büchern gesagt zu haben, als vielmehr Unbestimtheiten, | |||||||
weil ich selbst noch nicht bestimmt genug gegriffen hatte. | |||||||
Denn vortreflicher Mann, ich glaube in ein Paar Worten, den Satz | |||||||
der die Seele der critischen Philosophie ist, Ihnen wenigstens so auseinanderlegen | |||||||
zu können, daß Sie gewiß sagen sollen: "Du hast | |||||||
eigentlich nichts Neues in deinen Schriften gelehrt; aber verstanden | |||||||
hast du mich vollkommen." und ich muß mich erinnern, daß ich an | |||||||
Sie schreibe um nicht warm zu werden, daß der gute würdige Schultz | |||||||
ganz unnützerweise Feuer! rufen will. Sie müssen mich selbst vernehmen. | |||||||
Ich bemerke nämlich an den Categorien erstens, daß in dem | |||||||
Gebrauch derselben als Prädicate der Objecte, der logische Verstandesgebrauch | |||||||
besteht. Hiernach heist es dann ein Ding hat Grösse, hat | |||||||
Sachheit, ihm komt zu Substantialität, Causalität, u.s.w. Diesen | |||||||
logischen Verstandesgebrauch sage ich auch in den synthetischen Urtheilen | |||||||
a priori aus, z. B. Bey allem Wechsel der Erscheinung beharret die | |||||||
Substanz; Was geschieht hat eine Ursache u.s.w. Wie fällt nun die | |||||||
Auflösung dieser Synthesis von Begriffen aus? Ich bemerke das | |||||||
ursprüngliche Verstandesverfahren in der Categorie, wodurch gerade | |||||||
die synthetisch objective Einheit, die das ausmacht, was Sinn und | |||||||
Bedeutung meines Begriffs heißt, erzeugt wird. Was ist es, frage | |||||||
ich, was den Chemiker nöthigt bey seinem Prozeß des Verbrennens | |||||||
des Phosphors in atmosphärischer Luft, zu sagen daß dasjenige, um | |||||||
was die Phosphorblumen schwerer geworden sind, eben das ist, um | |||||||
was die Luft leichter geworden? Ich antworte: sein eigener Verstand, | |||||||
das Erfahrende in ihm, welches ursprüngliche Verstandes=Verfahren | |||||||
ich einem bemerkbar mache, wenn ich ihn bitte, alle Objecte im Raum | |||||||
aufzuheben und nach Ablauf von 50 Iahren eine Welt wieder zu | |||||||
setzen. Er wird gestehen daß beyde Welten zusammenfallen und keine | |||||||
leere Zeit abgelaufen ist, das ist, daß nur am Beharrlichen er sich die | |||||||
Zeit selbst vorstellen könne. Hierher muß der Blick gerichtet seyn, um | |||||||
das Phantom des Berkleyischen Idealisms zu widerlegen. Ebenso | |||||||
wenn ich auf das Erfahrende in mir achte, wodurch ich zu der | |||||||
Aussage, daß etwas geschehen ist, gelange, so bemerke ich, daß das | |||||||
Verursachen, das ich damit verbinde, nichts anders als das Festmachen | |||||||
der Synthesis von Wahrnehmungen als eine successive ist (das ursprüngliche | |||||||
Setzen eines Etwas, wonach, als nach einer Regel die | |||||||
Begebenheit folgt) dadurch also Erfahrung einer Begebenheit erzeugt | |||||||
wird. Überhaupt aller dieser synthetischen Urtheile a priori Auflösung | |||||||
fällt dahin aus, daß das Prädicat das ich in einem solchen Urtheil | |||||||
mit dem Subject verbinde, das ursprüngliche Verstandesverfahren ist, | |||||||
dadurch ich zu dem Begriff von dem Object gelange. Hiernach (in | |||||||
dem Bewußtseyn dieser Principien) verstehe ich mich hoffentlich richtiger | |||||||
in dem Urtheil: meine Vorstellung von dem Tisch der vor mir steht, | |||||||
richtet sich nach dem Tisch, und dieses Object afficirt mich, es bringt | |||||||
Empfindung in mir hervor, als jeder andere der dieses ursprünglichen | |||||||
Verstandesverfahrens nur in der Anwendung, aber nicht abgezogen | |||||||
sich bewußt ist, und da bin ich freylich überzeugt, daß die Abtheilung | |||||||
des Erkenntnisvermögens, in Sinnlichkeit, als das Vermögen des | |||||||
Subjectiven (das Vermögen von Gegenständen afficirt zu werden) und | |||||||
in Verstand, das Vermögen Gegenstände zu denken (dieses Subjective | |||||||
auf ein Object zu beziehen) mit erforderlicher Deutlichkeit allererst | |||||||
nach richtiger Ansicht der Categorie als eines ursprünglichen Verstandesverfahrens | |||||||
ausgeht. | |||||||
Der Düsseldorfer Iacobi sagt in seinem David Hume betitelten | |||||||
Gespräch: "Ich muß gestehen, daß dieser Umstand (daß nämlich die | |||||||
Gegenstände Eindrücke auf die Sinne machen) mich bey dem Studio | |||||||
der Kantischen Philosophie nicht wenig aufgehalten hat, so daß ich | |||||||
verschiedene Iahre hinter einander, die Critik der reinen Vernunft | |||||||
immer wieder von vorne anfangen mußte, weil ich unaufhörlich darüber | |||||||
irre wurde, daß ich ohne jene Voraussetzung in das System nicht | |||||||
hineinkommen, und mit jener Voraussetzung darin nicht bleiben | |||||||
konnte." Wenn ich nun über diese Bedenklichkeit, welche gewiß sehr | |||||||
vielen wichtig ist, mein Urtheil sagen und auch bestimmen soll, was | |||||||
Ihre Critik eigentlich meyne, wenn sie auf der ersten Seite der Einleitung | |||||||
von Gegenständen spricht, welche die Sinne rühren, ob sie | |||||||
darunter Dinge an sich oder Erscheinungen meyne? so werde ich antworten, | |||||||
daß da Erscheinung das Object meiner Vorstellung ist, in | |||||||
welcher Bestimmungen desselben gedacht werden, die ich durch das ursprüngliche | |||||||
Verstandesverfahren (z. B. durch das ursprüngliche Fixiren | |||||||
meiner Synthesis von Wahrnehmungen, als eine successive, dadurch | |||||||
Erfahrung einer Begebenheit möglich wird) erhalte, so ist der Gegenstand | |||||||
der mich afficirt, eben daher Erscheinung und nicht Ding an | |||||||
sich. Meynt aber jemand von den Categorien einen absoluten Gebrauch | |||||||
machen zu können, sie als Prädicate der Dinge schlechthin ansehen | |||||||
zu können, ohne Hinsicht des ursprünglichen Verstandesverfahrens | |||||||
das in ihnen liegt (nach Ihrem Ausdruck: eine Anwendung von ihnen | |||||||
auf Objecte ohne Bedingung der Anschauung machen zu können) der | |||||||
ist in der Meynung die Dinge an sich zu erkennen und, wenn ich ein | |||||||
klein wenig auf Herrn Schultz böse seyn wollte, so würde ich gewiß | |||||||
mit mehrerm Fug ihm den Vorwurf machen, daß er im Besitz einer | |||||||
Verstandesanschauung zu seyn sich dünke, als er Recht hat, ihn mir | |||||||
zu machen. Das einzige was meiner Meynung nach dem Menschen | |||||||
vergönnt ist, ist die Beziehung der Natur überhaupt auf ein Substrat | |||||||
derselben, eine Beziehung, der er sich in seiner Anlage für Moralität, | |||||||
in dem Bewußtseyn der Bestimmbarkeit des Begehrens durch die | |||||||
blosse Vorstellung der Gesetzmässigkeit der Handlungen bewußt ist. | |||||||
Denn in diesem Bewußtseyn, (aus welchem gerade so die synthetischpractischen | |||||||
Grundsätze hervorgehen, wie jene synthetische theoretische | |||||||
Urtheile a priori aus dem ursprünglichen Verstandesverfahren) erhebt | |||||||
er sich über die Natur und setzt sich ausser ihrem Mechanismus, ob er | |||||||
gleich als Mensch doch wieder Naturgegenstand ist, und sonach seine | |||||||
Moralität selbst etwas Angefangenes ist und Naturursachen voraussetzt. | |||||||
Der einer Zweckeinheit entsprechende fortgehende Naturmechanism | |||||||
stimmt ihn zu dieser Beziehung noch mehr und erhebt und stärkt die | |||||||
Seele des sittlich guten Menschen, ob er gleich doch nur immer auf | |||||||
symbolische Weise sich dieses Substrat vorzustellen weiß. Selbst der | |||||||
Lauf menschlicher Begebenheiten, Naturbegebenheiten, wie z. B. die | |||||||
Erscheinung der christlichen Religion, von der als einem Kirchenglauben | |||||||
man sagen kann, daß sie das Princip zu ihrer eigenen Auflösung in | |||||||
sich selbst trägt, Naturbegebenheiten die sichtbarlich hinzielen, den rein | |||||||
moralischen Glauben in unserm Geschlecht hervorzubringen - Alles | |||||||
dieses leitet den Verstand zu einer solchen Beziehung. | |||||||
Aber ich schreibe als wollte ich Ihnen etwas Neues lehren! Verehrungswürdiger, | |||||||
grosser Mann, ich kann nicht ohne Entzücken diese | |||||||
Angelegenheiten des Menschen überdenken, und Ihnen verdanke ich es, | |||||||
Sie haben mich darauf geführt Ich befinde mich in meinen besten | |||||||
Iahren, und was meine Seele täglich erheitert, ist, der auf meine | |||||||
jetzige Einsichten in die Principien der critischen Philosophie gegründete | |||||||
Gedanke, einst auch nach dem Abgange des grossen Stifters derselben, | |||||||
diese dem Menschengeschlecht wichtige Angelegenheit kräftiglich besorgen | |||||||
zu können. Ihre metaphysische Principien der Rechtslehre, haben | |||||||
mich seit ihrer Erscheinung beschäftigt, und die Aufklärungen die ich | |||||||
durch diese kleine Schrift erhalten, sind sehr groß. Um so mehr thut | |||||||
es mir wehe, daß der gute Hofpr. Schultz meine Bemühungen in | |||||||
einem so gehässigen Licht hat stellen wollen. Mir war bey meinem | |||||||
Standpunct alles darum zu thun, die wahre Ansicht der Categorien | |||||||
als des ursprünglichen Verstandesverfahrens zu eröfnen und den nur | |||||||
unter dieser Bedingung gültigen empirischen Gebrauch meinem Leser | |||||||
unter die Augen zu stellen, und ihm die Nichtigkeit des transcendentalen | |||||||
Gebrauchs derselben zu zeigen. In dieser Hinsicht, da ich sonach | |||||||
Ihre Methode umkehrte und von den Categorien sofort anfing, nannte | |||||||
ich meine Arbeit Transcendentalphilosophie und theilte sie nicht ein | |||||||
in trans. Ästhetik und Logik. In dem ersten Abschnitt meiner Schrift | |||||||
handele ich von den Schwierigkeiten in den Geist der Critik zu dringen | |||||||
und mache darin den Sceptiker; bloß um sehr viele critische Philosophen, | |||||||
die wirklich den dogmatischen Schlaf schlafen, zu wecken, und | |||||||
um Herrn Reinhold und andern sich nennenden Elementarphilosophen | |||||||
zu Gemüth zu führen, daß, indem sie Ihre Critik meistern, weil sie | |||||||
einen Satz aus dem alle Philosophie quellen soll, ihrer Meynung nach | |||||||
anzugeben unterlassen habe, und von denen der eine diesen, ein anderer | |||||||
einen andern Satz als Thatsache des Bewußtseyns aufführt, um diesen | |||||||
Männern zuzurufen, daß sie nicht bemerken, daß dasjenige worauf | |||||||
jeder mögliche Satz, wenn er Sinn haben soll beruht, gerade von | |||||||
Ihnen in dem ursprünglichen Verstandesverfahren der Categorien angegeben | |||||||
worden. Ich zeigte den Nachsprechern Ihrer Critik, die mit | |||||||
Ihren Worten groß thaten, daß in ihrem Munde es mir ganz sinnlos | |||||||
vorkomme, wenn sie von Begriffen a priori reden, die sie doch nicht | |||||||
mit Leibnitz angebohren heissen wollten, lediglich um nachher den | |||||||
grossen Unterschied, der zwischen Ihrer Behauptung, daß die Categorien | |||||||
Begriffe a priori sind und jener von angebohrnen auffallend zu machen | |||||||
und um zu zeigen, daß diese Categorien durchweg eigentlich das Verstandesverfahren | |||||||
sind, wodurch ich zu dem Begriff von einem Object | |||||||
gelange, dazu gelange, daß ich überhaupt sage: hier ist ein von mir | |||||||
verschiedener Gegenstand. Niemand kann von der Richtigkeit seiner | |||||||
Einsichten heller überzeugt seyn, als ich in diesem Augenblick bin. | |||||||
Was mir Herr Schultz Schuld giebt, davon ist mir auch niemals der | |||||||
Gedanke eingefallen. Nicht eingefallen ist es mir, die Sinnlichkeit | |||||||
weg zu exegesiren. Wie gesagt, ich konnte mein Auge nicht dem Lichte | |||||||
verschliessen, das ich erblickte, als ich auf den Einfall kam, von dem | |||||||
Standpuncte der Categorien auszugehen, und das was Sie in Ihrer | |||||||
transc. Aesthetik besonders abhandeln (Raum und Zeit) mit den Categorien | |||||||
zu verbinden. Herr Reinhold hatte Sie corrigirt, wenn Sie | |||||||
sagen: der Raum ist eine Anschauung a priori und dahin gemeistert, | |||||||
daß es nach ihm heissen soll, die Vorstellung vom Raum ist Anschauung. | |||||||
Ich zeige ihm, daß der Raum selbst eine reine Anschauung | |||||||
ist, das heißt, die ursprüngliche Verstandessynthesis worauf die objective | |||||||
Verbindung (ein Object hat diese oder jene Grösse) beruht. Nie in | |||||||
den Sinn ist es mir gekommen, zu sagen, daß der Verstand das Ding | |||||||
macht; ein baarer Unsinn! Wie kann Herr Schultz so unfreundlich | |||||||
seyn mir dieses zu Schulden kommen zu lassen. Wie gesagt, ich wollte | |||||||
nicht, im geringsten mehr, als die Leute darauf führen, daß wir nichts | |||||||
objectiv verknüpfen können (urtheilen mit einem Wort, sagen: ein | |||||||
Ding hat diese oder jene Grösse, diese oder jene Realität, Substantialität | |||||||
u.s.w.) was der Verstand nicht vorher selbst verbunden | |||||||
hat und daß hierin die objective Beziehung liegt. Hierauf will ich | |||||||
jeden, wie mit der Nase darauf führen und wie sollte einer bey diesem | |||||||
Licht nicht sehen können! Da heißt nun dieser auf mich wirkende, die | |||||||
Sinne rührende Gegenstand, Erscheinung und nicht Ding an sich, | |||||||
wovon ich lediglich den negativen Begriff aufstellen kann, als von | |||||||
einem Dinge dem Prädicate schlechthin (ganz abgesehen von diesem | |||||||
ursprünglichen Verstandesverfahren) zukommen, - eine Idee und so | |||||||
auch die von einem urbildlichen Verstande, die natürlich durch Entgegensetzung | |||||||
aus jener Eigentheit unsers Verstandes entspringen. | |||||||
Meine Absicht ging dahin, dem Begriff von Ding an sich den Zugang | |||||||
in die theoretische Philosophie zu verschließen, auf dessen ganz eigene | |||||||
Art von Realität ich lediglich in dem moralischen Bewußtseyn geleitet | |||||||
werde. In jenem ersten Abschnitt meiner Schrift, spreche ich etwas | |||||||
laut, nenne auch freylich die Anschauung sinnlos. Ich nenne alle | |||||||
Resultate Ihrer Arbeit so, ich, der indem ich sie so nannte, der größte | |||||||
Bewunderer derselben war und Herr Hofprediger S. sie gewiß nicht | |||||||
mehr verehren konnte als ich. Auch ist er der einzige der mich so mißverstanden | |||||||
hat. Fast kann ich mir dieses Mißverstehen nicht anders als | |||||||
durch die Nachricht erklären, die mir Herr Motherbey, der so gut war, | |||||||
mich zu besuchen, gegeben hat, daß der würdige Mann seine Frau vor | |||||||
einiger Zeit verlohren hat, welches Ereigniß ihm vieleicht einige | |||||||
Grämlichkeit zurückgelassen hat. Auch kann wohl immer etwas frommer, | |||||||
von seiner theologischen Denkart übrig gebliebener Eifer im Hintergrunde | |||||||
seyn, der gewiß wohl von wackerer Denkungsart einen Beweis | |||||||
ablegt, aber andern ehrlichen Leuten doch immer etwas beschwerlich | |||||||
fällt. Niemand hat der Sache nach, von allen Freunden der critischen | |||||||
Philosophie auf die Unterscheidung der Sinnlichkeit vom Verstande | |||||||
mehr als ich gedrungen. Ich thue es unter dem Ausdrucke: daß ein | |||||||
Begriff nur sofern Sinn und Bedeutung habe, sofern das ursprüngliche | |||||||
Verstandesverfahren in den Categorien ihm als Basis unterliegt, | |||||||
welches der Sache nach einerley mit Ihrer Behauptung ist, daß die | |||||||
Categorien lediglich auf Anschauungen Anwendung haben, welchen | |||||||
Ausdruck ich aber meines Gesichtpuncts wegen wählte. Eigentlich | |||||||
liegt aber der ganze Grund Ihres Briefes und was auf Sie Eindruck | |||||||
gemacht hat, in der Nachricht die Ihnen Herr Schultz giebt, daß ich | |||||||
auf den Titel meiner Schrift: auf Anrathen K- gesetzt habe und | |||||||
er erregt die Besorgniß, daß das Publicum deswegen glauben werde, | |||||||
daß Sie meine vermeyntlich falsche Vorstellungsart für gültig anerkennen | |||||||
und so Ihre eigene Arbeit durch mich umwerfen lassen. | |||||||
Wirklich deswegen habe ich Ursache gegen ihn unwillig zu seyn. Die | |||||||
Sache verhält sich so. Da ich dem Buchhändler Hartknoch meinen | |||||||
Standpunct antrug, so trug ich sie ihm als eine vor sich bestehende | |||||||
Schrift an, die gar nichts mit dem Auszuge zu thun hatte. Er antwortete | |||||||
mir von Riga aus und bat mich sie mit zwey Titeln (auf | |||||||
der einen Seite: Standpunct etc und auf der andern: Auszug etc) | |||||||
ausgehen zu lassen. Ich sahe nichts Unrechtes darin und that was | |||||||
er wollte, wohl aber mit der Vorsicht, daß ich nicht auf dem Titelblatt | |||||||
des Standpuncts auf Ihr Anrathen und nur auf dem andern | |||||||
es setzte, weil ich dieses (was den Auszug überhaupt betraf) thun | |||||||
konnte. Indessen wenn ich geirrt habe, so habe ich doch nichts verbrochen | |||||||
und ich bin bereit die Sache bey der ersten Gelegenheit gut | |||||||
zu machen, nähmlich zu erklären, daß der Standpunct nicht auf Ihr | |||||||
Anrathen geschrieben worden sey, wiewohl ich auch nicht einsehen kann, | |||||||
daß das Wort: Anrathen überhaupt etwas anderes sagen kann, als | |||||||
daß Sie mich überhaupt für einen Mann halten der eine der Beachtung | |||||||
des Publicums werthe Sache produciren könne. Die Sache kann | |||||||
aber auf mehrere Art gut gemacht werden. Vor allen Dingen wünsche | |||||||
ich es nicht auf eine, denjenigen Leuten, die die critische Philosophie | |||||||
wie den Tod hassen, willkommene Weise zu thun, welches durch eine | |||||||
in die Lit. Zeitung oder in Iakobs Annalen inserirte Nachricht geschehen | |||||||
würde; denn bey aller Vorsicht im Ausdruck würden diese | |||||||
Zänkerey und Uneinigkeit wittern, welches der guten Sache schaden | |||||||
würde. Am beßten geschehe es in der Vorrede zu einer Schrift. Ich | |||||||
gehe nämlich mit einer Arbeit um, die aber künftige Ostern erst | |||||||
herauskommen kann. Oder, möchte sich nicht Herr Hofprediger Schultz | |||||||
entschliessen, selbst einen Aufsatz, der bloß die Hauptmomente des critischen | |||||||
Idealisms auseinandersetzte, zu verfertigen und Retractationen | |||||||
meiner Arbeit, von mir, als einen zweyten Theil eben dieser Schrift | |||||||
aufzunehmen (so wie Herr Hindenburg in der verlaufenen Michäelis | |||||||
Messe die Schrift: Der polynomische Lehrsatz, das wichtigste Theorem | |||||||
der ganzen Analysis, neu dargestellt von Klügel, Kramp, Pfaff, Tetens | |||||||
und Hindenburg, herausgegeben hat)? Keiner dürfte die Arbeit des | |||||||
andern vor dem Druck gesehen haben. Ich denke eine solche von zwey | |||||||
Männern, mit Ernst und Wahrheitsliebe abgefaste Schrift, von denen | |||||||
jeder die Sache auf die ihm eigene originale Art ansieht, müßte nützlich | |||||||
werden. Ich will doch nicht hoffen, daß der gute Mann diesen | |||||||
Vorschlag übel aufnehmen werde. Denn vor 10 Iahren war ich freylich | |||||||
sein Schüler, bin aber jetzt selbst ein Mann, habe auch in dem | |||||||
besondern wissenschaftlichen Gebiet, das er betreibt, nach vielen Richtungen | |||||||
hin mich umgesehen und glaube der Achtung meiner Mitmenschen | |||||||
nicht unwerth zu seyn. Wenn Sie in wenig Worten mir Ihre Meynung | |||||||
mittheilen wollten, so würde mir das sehr angenehm seyn. | |||||||
So wie ich Ihren Brief erhielt, theilte ich ihn meinem würdigen | |||||||
Freunde dem Prof. Tieftrunk mit. Er hatte den Einfall daß es gut | |||||||
wäre, wenn Sie auch die Art, wie ein Anderer meine Bemühung im | |||||||
Standpunct aufnehme, sich sagen liessen und ich dankte ihm für sein | |||||||
freundschaftliches Anerbieten, dieserwegen an Sie zu schreiben. | |||||||
Und nun, mein ewig verehrungswürdiger Lehrer, mir müssen Sie | |||||||
dieser Geschichte wegen, Ihr Wohlwollen nicht entziehen. Wahrlich | |||||||
das würde mich kränken, der ich für die Sache der Philosophie zu | |||||||
leben wünsche. Ich denke daß in diesen Angelegenheiten man ruhig | |||||||
jeden, von dem man sieht, daß er es bieder meynt, seinen Weg gehen | |||||||
lassen müsse. Mit der innigsten Hochachtung bin ich ganz | |||||||
der Ihrige | |||||||
Beck. | |||||||
Von Herrn Schlettweins Existenz weiß ich gar nichts mehr, als | |||||||
daß mir ahndet, daß ein Iournal unter seinem Namen da sey. Was | |||||||
Sie in der Lit. Z. ihn betreffendes haben einsetzen lassen, habe ich | |||||||
noch nicht gelesen. Daß dieser Rotomontadenmacher Sie veranlassen | |||||||
könnte, etwas mich betreffendes, das mich in den Augen des Publicums | |||||||
lädiren könnte, darin zu sagen, darf ich nicht einmahl vermuthen, ohne | |||||||
Ihnen dadurch zu misfallen. | |||||||
Ich kann mich nicht überreden daß Herr Prof. Pörschke, meine | |||||||
Darstellung des Geistes der critischen Philosophie, ihrem wahren Geiste | |||||||
so entgegen, wie Herr Hofpr. Schultz halten sollte. Wie wenn dieser | |||||||
brave Mann sein Urtheil Ihnen darüber sagen möchte. Ich habe hier | |||||||
auch meinem Freunde Rath Ihren Brief mitgetheilt. Dieser sehr einsehende | |||||||
Mann, der, ob er gleich nichts geschrieben hat, doch viel Gutes | |||||||
schreiben könnte und der mir immer seine Zufriedenheit mit meiner | |||||||
Darstellung gestanden hat, erstaunte wie es möglich sey, so sonderbar | |||||||
meine Behauptungen auszulegen, wie es Herr Hofprediger S. gethan | |||||||
hat. Auf jeden Fall, Hochachtungswürdiger Mann, können Sie versichert | |||||||
seyn, (auch auf den Fall daß Sie auf diesen Brief nicht antworten | |||||||
sollten,) daß ich bey der ersten Gelegenheit, die ich haben werde | |||||||
von critischer Philosophie zum Publicum zu sprechen, sagen werde, | |||||||
daß Sie gar keinen Antheil weder an meinem Standpunct, noch am | |||||||
Grundriß haben. Ich werde mich so erklären, daß Sie und jedermann | |||||||
vollkommen mit mir zufrieden seyn sollen, und darauf haben Sie meine | |||||||
Hand! Geständnisse aber eines Versehens in der Sache, die kann | |||||||
ich nicht thun, weil niemand von seiner Einsicht überzeugter ist, als ich. | |||||||
[ abgedruckt in : AA XII, Seite 162 ] [ Brief 753b ] [ Brief 755 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |