Kant: Briefwechsel, Brief 744, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.      
           
  Berlin den 11ten Aprill 1797.      
           
  Verehrungswürdiger Freund,      
           
  Ich würde gewiß schon längst meine Pflicht erfüllt und an Sie      
  geschrieben haben, wenn ich Ihnen nur irgend etwas Beruhigendes      
  über meine Lage hätte schreiben können, da dis aber nicht der Fall      
  war, so hielt ich es für besser so lange zu schweigen, bis die Umstände      
  sich auf eine oder die [andere] Art geändert haben würden, denn ich      
  bin von Ihrem gütigen theilnehmenden Herzen überzeugt, daß es Sie      
  betrübt haben würde, mich nicht glücklich zu wissen. Erlauben Sie mir,      
  theuerster Mann, daß ich Ihnen ganz kurz die Veränderung meiner      
  Lage erzähle. Dem Minister Struensee mit dem die Prinzessin, meine      
  Schülerin, auch schon gesprochen hatte, übergab ich den Brief, den Sie      
  auf meine Bitte die Güte gehabt hatten an ihn zu schreiben und wofür      
  ich Ihnen meinen herzlichsten Dank sage. Er fand sich dadurch      
  sehr geschmeichelt, nahm mich sehr gütig auf, bat mich auch einmal      
  zum Mittagsessen und versprach mir fest, bei vorkommender schicklicher      
  Gelegenheit an mich zu denken, sagte mir aber auch zu gleicher Zeit,      
  daß ich es mir würde gefallen laßen müßen eine Zeitlang zu warten,      
  was ich auch von selbst wohl einsahe. Indessen war dieser Weg von      
  mir nur aus Noth gedrungen eingeschlagen worden und ich würde es      
  immer für ein großes Unglück gehalten haben, ein Amt zu bekommen,      
  was mir nur wenig oder gar keine Zeit zur Fortsetzung meiner wissenschaftlichen      
  Ausbildung gelaßen hätte; ich beschloß daher alles nur mögliche      
  noch zu versuchen, um vom Könige eine Pension zu erhalten, wodurch      
  ich in den Stand gesetzt würde, ruhig fortzustudiren und dis um      
  so mehr, weil ich es für Pflicht hielt, eine Forderung nicht so leicht      
  aufzugeben, wozu 9jährige Arbeiten und das ausdrückliche Versprechen      
  des Königs mir ein gegründetes Recht geben. Aber alle meine Versuche      
  waren vergeblich, die Vorschläge, die ich dem Könige zu meiner      
  Versorgung that, wurden durch das Cabinet jedesmal an Behörden      
  gewiesen, die mir durch ihre Antwort zu erkennen gaben, daß sie nicht      
  über mein Gesuch zu sprechen hätten und daß nothwendig ein Irrthum      
  im Cabinet vorgegangen sein müße, das Gesuch an sie zu schicken,      
  wenn anders der König mir dadurch nicht zu verstehen geben wollte,      
           
  daß meine Bitte abgeschlagen sei. Endlich wandte sich die Prinzessin,      
  weil mündlich für jemand den König zu bitten, verboten ist, durch      
  ein Schreiben, das ihr wirklich Ehre macht, für mich an ihren Vater,      
  aber auch dis blieb, ob es gleich Etiquette ist, daß der König seinen      
  Kindern immer antwortet, unbeantwortet und als sie den Tag vor      
  ihrer Abreise mit dem König mündlich darüber sprechen wollte, unterbrach      
  er das Gespräch mit dem allgemeinen Versprechen, j'aurai soin      
  de tout. Auf ihr Anrathen machte ich nach ihrer Abreise noch einige      
  Demarchen, und da diese auch vergeblich waren, so gab ich alle Hofnung      
  auf, auf diese Art etwas zu erlangen. Unterdessen erhielt ich einen      
  Brief von einem meiner ehemaligen Zuhörer einem reichen russischen      
  Kaufmann, der ein eifriger Anhänger ihres Systems ist, welcher mich      
  einlud, zu ihm nach Dresden zu kommen, mit ihm den Sommer zur      
  Wiederherstellung meiner Gesundheit ins Bad zu gehen und sodann      
  nach Frankreich und der Schweitz zu reisen, wenn ich in Berlin nichts      
  mehr zu verliehren hätte. Ich war auch völlig bereit, diesen gütigen      
  Vorschlag anzunehmen, als sich plötzlich eine andere Aussicht eröfnete.      
  Einer meiner ehemaligen Zuhörer, der die Stelle eines ersten Sekretärs      
  bei dem Obristen von Zastrov, dem Generaladjudanten des Königs,      
  bekleidet, hatte gehört, daß ich Berlin verlaßen wollte und rieth mir,      
  ehe ich diesen Schritt thäte, mich an den Obristen zu wenden, der mir      
  sehr gewogen sei und sich gewiß sehr für mich interessiren würde. Ich      
  ging darauf nach Potsdam, sprach mit dem Obristen, der mich mit      
  vieler Achtung und Freundschaft empfing, und es übernahm mein Gesuch      
  dem Könige vorzutragen. Der König äußerte seine große Zufriedenheit      
  mit mir und schon den folgenden Tag erhielt ich eine Cabinetsordre,      
  worin der König mir "zur Aufmunterung um in meinem Eifer zur      
  Ausbreitung nützlicher Kenntniße fortzufahren" eine lebenslängliche      
  Pension von 360 rthlr. (so groß war mein Gehalt für den Unterricht bei      
  der Prinzessin gewesen) jährlich aussetzte, doch mit dem Beding, da      
  ich fernerhin den fremden Offizieren, die sich den Winter ihrer Ausbildung      
  wegen in Berlin aufhalten und den hiesigen Chirurgen unentgeldlich      
  den Zutritt zu meinen Vorlesungen verstatte. Dadurch nun,      
  theuerster Freund, bin ich wenigstens gegen drückenden Mangel geschützt      
  und also jetzt völlig ruhig. Ich werde fürs erste auf einige      
  Monath nach Carlsbad gehen um meine Gesundheit wiederherzustellen,      
  die wirklich sehr gelitten hat, und so dann meine Geschäfte nach wie      
           
  vor, fortsetzen. Den Unterricht bei den beiden Prinzen, für den ich      
  zusammen jährlich 240 rthlr. erhalte, habe ich beibehalten.      
           
  Von meiner Darstellung Ihres Systems für Uneingeweihte erscheint      
  Michaelis die zweite Auflage, ich habe manches darin abgeändert      
  und manche Zusätze gemacht, ich wünschte herzlich, daß Sie sie      
  für Verbesserungen möchten gelten laßen. Der hiesige Dänische Gesandtschaftsarzt,      
  der mein Zuhörer und ein treflicher Kopf ist, wird Ihr      
  Werkchen über den ewigen Frieden und diese Darstellung ins Dänische,      
  und ein junger schwedischer Gelehrter, der auch meine Vorlesungen      
  besucht, ins Schwedische übersetzen. Auch habe ich das große Vergnügen,      
  daß in mehreren katholischen Klöstern über meine Logik Vorlesungen      
  gehalten werden.      
           
  Ietzt aber habe ich noch eine Bitte an Sie. Ihr Werkchen über      
  den ewigen Frieden hat mich entzückt; und ich habe angefangen einen      
  Commentar darüber auszuarbeiten, worin ich die darin enthaltenen      
  Sätze aus dem Natur und Völkerrecht nach Anleitung ihrer Metaphysik      
  des Rechts auseinandergesetzt und erläutert habe. Ich sehe aber wohl      
  ein, daß ich ohne Ihre Erlaubniß dis nicht drucken laßen kann; daher      
  will ich, wenn Sie es mir gütigst erlauben, Ihnen das Manuscript,      
  so bald es fertig ist, zuschicken; erhält es Ihren Beifall nicht, so mag      
  es ungedruckt bleiben, und ich habe wenigstens den Vortheil meine      
  Gedanken über so wichtige Gegenstände mir auseinander gesetzt zu      
  haben.      
           
  Die Nachrichten, die mir HE. D. Friedländer von Ihrem Wohlbefinden      
  gebracht hat, haben mir ungemein viel Freude gemacht, so      
  wie ich überhaupt an allem, was sie betrift, den lebhaftesten Antheil      
  nehme - HErr Hahnrieder, der mit seiner Lage sehr zufrieden ist,      
  hat mir aufgetragen, Ihnen in seinem Namen tausend Empfehlungen      
  zu machen.      
           
  Dürfte ich Sie bitten dH. Hofprediger Schulz, H. Prof. Gensichen      
  und dH. Criminalrath Stägemann mein Compliment zu machen      
  und sie von der glücklichen Wendung meines Schicksals zu benachrichtigen.      
           
  Neuigkeiten, die Sie interessiren und die Sie nicht durch den Weg      
  der Publicität erhielten, giebt es jetzt wenig. Der König ist sehr krank      
  und leidet an der Brustwassersucht, so daß er zuweilen Ohnmachten      
  bekömmt; er ist ganz abgezehrt und die Aerzte fürchten, daß er nicht      
  lange mehr leben möchte; als er vergangenen Sonnabend von Potsdam      
           
  nach Berlin reiste mußte er unterwegens einige mahl still halten      
  laßen, weil er keinen Odem bekommen konnte.      
           
  Am theologischen Himmel zeigen sich jetzt andere Phänomene; man      
  wacht jetzt mit unerbittlicher Strenge über die geheimen Conventikel      
  der Gläubigen. - Aus der Breslauschen Verschwörungsgeschichte wird,      
  wie es bis jetzt scheint, wenig oder nichts herauskommen.      
           
  Ich bitte Sie recht sehr um die Fortdauer Ihrer Gewogenheit und      
  Freundschaft und bin mit der innigsten Verehrung      
           
    Ihr      
    dankbarer Schüler      
    I G C Kiesewetter      
           
           
           
     

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