Kant: Briefwechsel, Brief 715, Von Conrad Stang. |
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Von Conrad Stang. | |||||||
Würzburg den 2ten Oktober 1796. | |||||||
Wohlgebohrner, Hochgelehrter, Hochgeehrtester Herr Professor! | |||||||
Wie kann ich diese Tage, wo ich Sie vor vier Iahren kennen | |||||||
lernte, und die mir dadurch ewig wichtig und ewig unvergeßlich sind, | |||||||
schöner und besser feyern, als wenn ich diese Zeilen an Sie schreibe, | |||||||
die als der aufrichtigste Abdruck meines Herzens, das so tiefe Achtung, | |||||||
so gränzenlose Schätzung für Sie fühlet, zu betrachten sind, und | |||||||
durch welche ich mir die Vergangenheit, derer Erinnerung soviel | |||||||
süßes für mich hat, so ganz lebhaft vergegenwärtige? Es sind nun | |||||||
vier Iahre, daß ich in Gesellschaft des Herrn Professor Reuß die Ehre | |||||||
hatte, Sie kennen zu lernen: Ich wähne, daß es kaum ein Iahr sey: | |||||||
so neu ist in mir das Andenken an jene unvergeßlichen Tage; so lebhaft | |||||||
noch die Errinnerung an jene Gespräche, die für mich so lehrreich | |||||||
waren, so vielen Einfluß auf meine Bildung hatten. Die innigste | |||||||
Hochachtung, nicht allein durch Ihre mir so heiligen Schriften erzeugt, | |||||||
sondern auch durch Ihre persönliche Bekanntschaft vergrößert | |||||||
und befestigt: Die wärmsten Empfindungen des Dankes für jene | |||||||
gute Aufnahme, für jene Gastfreundschaft, die wir in so hohem Grade | |||||||
bey Ihnen fanden, sind der Zoll, den Ihnen mein Herz ohne Aufhören | |||||||
bringet, so gerne bringet. | |||||||
Professor Reuß, und ich waren für dieses Spätjahr schon so | |||||||
ziemlich entschieden, wieder eine Reise nach Koenigsberg zu machen, | |||||||
um Sie zu besuchen, und für längere Zeit, als vor vier Iahren, das | |||||||
Glück Ihrer Gesellschaft und Ihres Umganges zu genießen. So wie | |||||||
aber die Neufranken schon manchem Großen einen Strich durch die | |||||||
Rechnung gemacht haben, so machten sie es uns Niedern auch, und | |||||||
unser schöner Reiseplan ward vereitelt. Dieser Plan ist immer mein | |||||||
Lieblingsplan, und wenn das Schicksal mit einstimmt, so reise ich im | |||||||
nächsten Frühjahre nach Koenigsberg, um mich da ein paar Monate | |||||||
aufhalten zu können. Daß meine ganze Rechnung da auf Ihren | |||||||
lehrreichen Umgang gehe, gestehe ich Ihnen freymüthig, und was Ihre | |||||||
Einwilligung betrift, in Ihrer Gesellschaft seyn zu dörfen, da nehme | |||||||
ich meine ganze Zuflucht zu Ihrer Güte, die Sie mir in so hohem | |||||||
Grade haben kennen lernen lassen. | |||||||
Ich habe eine Zeitlang die Iuristerey getrieben. Allein bey dieser | |||||||
Trockenheit von Studium, war es mir unmöglich lange auszuhalten. | |||||||
Ich kehrte ganz in den Schoos der Philosophie zurücke, die belohnender | |||||||
ist, und die ich nie verlassen hätte. Freilich eine seltene Erscheinung | |||||||
in einem katholischen Lande, wo man gewohnt ist, daß die | |||||||
Geistlichen nur mit dieser Nebenwissenschaft sich abgeben, und wo man | |||||||
immer nicht so recht dran will, sie nach ihrem ganzen Werthe zu | |||||||
schätzen. Dabey muß ich aber mit Gewalt ein Maurer seyn (eine | |||||||
Synonime mit Iakobiner in unserm und andern katholischen Ländern) | |||||||
und es macht sich wohl mancher ein Geschäft, mich zu warnen, zu | |||||||
bedauern, oder gar als gefährlich zu beobachten. Uebrigens kann ich | |||||||
über alle lachen, und bin so ganz ruhig bey meinem philosophischen | |||||||
Studium, das mir Ihre Schriften so werth machen, da sie mir Wahrheit | |||||||
geben, und ich, da ich sie leße, Sie immer vergegenwärtiget | |||||||
glaube. Der praktische Theil der Philosophie ist mir der liebste. Und | |||||||
sollte ers nicht seyn? Da Ihr Ton hier so rührend, so herzergreifend | |||||||
ist. Da gerade dieser Theil das wichtigste unsres Lebens betrift. | |||||||
Ihr Sistem hat hier ganz gewonnen, und es getraut sich keiner | |||||||
mehr, dagegen zu sprechen. Daß man alle Kabalen dagegen versucht | |||||||
habe, werden Sie wohl aus dem jüngsten Briefe des Professor Reu | |||||||
ersehen haben. Im verflossenen Iahre machte ich eine Reise nach | |||||||
Wien, und von da zurücke nach Salzburg und München. Ich hatte | |||||||
bey den vielen Bekanntschaften, die ich da machte, Gelegenheit genug, | |||||||
den Zustand der Philosophie kennen zu lernen. Die kritische Philosophie | |||||||
ist in der oesterreichischen Monarchie als Feindinn erkärt, und | |||||||
wehe dem, der sie lehren will. Der Kaiser ist ganz dagegen eingenommen, | |||||||
und da ihm der Direktor der Schulen und des Studiums | |||||||
in Wien H. v. Birkenstock das kritische Sistem anprieß, so drehte | |||||||
sich der Kaiser herum, und sagte: ich will einmal für allemal von | |||||||
diesem gefährlichen Sisteme nichts wissen. Ich lernte in Wien | |||||||
einen H. v. Delling kennen, der von seiner Professur in Fünfkirchen | |||||||
war abgesetzt worden, weil er nach kritischen Grundsätzen gelesen | |||||||
hatte. Man hatte wohl gegen drey Iahre lang Kabalen gegen | |||||||
ihn gemacht, allein er hielt sich immer noch fest. Im verflossenen | |||||||
Sommer aber machte sich die ganze hohe Geistlichkeit in Ungarn | |||||||
hinter ihm her, und er mußte seine Professur verliehren. Im | |||||||
Dekrete, das ihn entsetzte, hieß es unter andern: propter perniciosum | |||||||
Sistema ad Scepticismum ducens . Ferner legte man ihm zur Last, | |||||||
daß er auf die Beschuldigung geantwortet, und eine Vertheidigung | |||||||
der kritischen Philosophie herausgegeben habe, da man ihn doch aufgefodert | |||||||
hatte, sich zu vertheidigen. Endlich heißt es, man sehe sich | |||||||
gedrungen, ihn zu entfernen, da man wohl einsehe, daß er von seinen | |||||||
Grundsätzen nicht zu heilen sey, da er die kritische Philosophie vertheidigt | |||||||
habe. Iedoch wächst dle Parthey der kritischen Philosophie | |||||||
im heimlichen, zudem da die ungarischen Protestaten, theils in Iena; | |||||||
theils in Halle studiren, und die neuen Grundsätze mit nach Hause | |||||||
bringen. Auch traf ich in Wien den Rektor der Philosophie von | |||||||
Grätz H. v. Albertini, der eben auch, da er die kritische Philosophie | |||||||
schützte, sein Rektorat verlohr. Es giebt in der oesterreichischen Monarchie | |||||||
manchen Mann, der sehr gut für das neue Sistem ist, wie | |||||||
man mich versicherte. In Wien jedoch wird nie viel zu Stande | |||||||
kommen, da es ganz an gelehrtem Gemeingeiste fehlt, und die Professoren | |||||||
an der Universität einander nicht kennen: denn es ist reiner | |||||||
Zufall, der hier einen oder den andern zusammenführt. In Salzburg | |||||||
geht es schon besser mit der kritischen Philosophie: besonders verwendet | |||||||
sich der würdige Regent des Priesterhauses dafür. Allein | |||||||
viele sind noch dagegen, und man muß stets Würzburg erst als Beyspiel | |||||||
anführen, daß ein Satz sein Glück mache. Der Fürst hat ein | |||||||
Steckenpferd, nämlich aufgeklärt beym Auslande zu heisen. Dieses | |||||||
ist die Aegide der kritischen Philosophie in Salzburg, die sie aber | |||||||
wohl bey seinem Tode verliehren wird. In München ist an keine | |||||||
kritische Philosophie zu denken, da Stattler hier wohnt und regiert. | |||||||
Doch fehlt es keineswegs an einzelnen Männern, die im geheime | |||||||
dieses Sistem studieren, und zu nützen suchen. Ihre Schriften sind | |||||||
da, wie in Oesterreich Kontrebande, besonders aber Ihr Religionswerk. | |||||||
O warum hat doch die Wahrheit gegen sovieles zu kämpfen, | |||||||
bis sie nur halb ihre Stimme geltend mache! Haben Männer sich so | |||||||
sehr gegen die kritische Philosophie gesträubt, so macht sie ihr Glück | |||||||
leichter bey Weibern. Sie glauben nicht, wie enthusiastisch Mädchen | |||||||
und Frauen für Ihr Sistem eingenommen sind, und wie allgemein | |||||||
diese wünschen, es zu kennen. Hier in Würzburg kömmt man in | |||||||
viele Frauenzimmergesellschaften, wo man sich beeifert, vor andern | |||||||
mehr Kenntniß Ihres Sistems zu zeigen, und wo es stets das Lieblingsgespräch | |||||||
ausmacht. Ia, was gewiß seltene Erscheinung ist, man | |||||||
hält sich nicht allein in den Schranken des praktischen Theiles, sondern | |||||||
wagt sich auch in das theoretische. | |||||||
Sie erlauben, daß ich mich eines Zweifels wegen, den ich im | |||||||
Naturrechte habe, an Sie wende, und Sie darum befrage. Herr | |||||||
Professor Schmalz stellt in seinem Naturrechte den Satz auf, da | |||||||
Verträge nicht verbindlich seyen: die hinzugekommene Leistung mache | |||||||
sie erst verbindlich. Dieser Satz macht viel Glück bey uns: allein ich | |||||||
finde immer soviel vom positiven Rechte entlehntes darinne, und ich | |||||||
kann mich auf keine Art befriedigen. Herr Professor Schmalz macht, | |||||||
wie es auch sein muß, das Princip der Vernunft zum Principe des | |||||||
Naturrechtes. Dieses Princip gebiethet einmal ohne Ausnahme | |||||||
Wahrhaftigkeit; warum sollte es hernach im Naturrechte indifferent | |||||||
seyn? und man hier eines Grundes, der Leistung, bedürfen, der zur | |||||||
Wahrhaftigkeit verbinde. Ich habe den nöthigen Unterschied zwischen | |||||||
Moral und Naturrecht vor Augen: Allein wenn ein gleiches Princip | |||||||
einmal ohne Ausnahme gebietet, warum sollte es ein andresmal verstummen? | |||||||
Bey vollkommenen Pflichten darf, glaube ich, nie eine | |||||||
Lücke stattfinden, die die Moral ausfülle, wenn dieses gleich bey unvollkommenen | |||||||
Pflichten stattfindet. Macht zudem Leistung den Vertrag | |||||||
erst verbindlich, so zerfällt, meinem Dünken nach, das Wesen | |||||||
des Vertrags, da sich jeder hüten wird, einen Vertrag zu schliesen, | |||||||
oder ein Versprechen anzunehmen, dessen Erfüllung der Willkühr des | |||||||
Andern überlassen ist. Durch die Annahme des Versprechens kann, wie | |||||||
ich glaube, an ein Unrecht etwas angeknüpft werden, da der eine erklärt, | |||||||
sich der Sache zu begeben, und der andre durch die Annahme | |||||||
des Erklärens deutlich zeigt, daß die Sache sein seyn solle, und er sie an | |||||||
sein Urrecht knüpfe. Und sollte wohl endlich der nicht als Mittel gebraucht | |||||||
werden, der mein Versprechen annimmt, und ich es ihm dann nicht | |||||||
halte? Ihr Ausspruch könnte mich hier ganz allein befriedigen. Ich kenne | |||||||
die Größe Ihrer Geschäften und Arbeiten: allein ich glaube nicht zu | |||||||
viel zu wagen, wenn ich Sie bitte, in einem Augenblicke Ihrer Muße | |||||||
mir Ihre Meinung zu schreiben, oder, daß ich nicht pochend bitte, | |||||||
schreiben zu lassen. Es liegt mir Alles daran, mit diesem Satze im | |||||||
Reinen zu seyn, da ich sonst in allen Sätzen, die sich auf ihn gründen, | |||||||
nicht weiter kommen kann. Es ist mir hier um Wahrheit zu | |||||||
thun, und ich glaube nicht bey dem Manne fehl zu bitten, der der | |||||||
Welt die Wahrheit gab, und der die Natur des von ihm aufgestellten | |||||||
Princips so genau kennen muß. | |||||||
Bey dem Besuche der Neufranken kam unsre Stadt ziemlich gut | |||||||
durch, wiewohl es an starken Requisitionen nicht fehlte, und sie auch | |||||||
einmal mit Beschiesen beängstigt wurde. Dagegen haben sie auf dem | |||||||
Lande äusserst schlecht gehauset, und dadurch ihren Siegen Gränzen | |||||||
gesetzt, da die Bauern allenthalben in Masse aufstunden, eine große | |||||||
Menge erschlugen, und unzähliche Beute von ihnen machten Der | |||||||
allgemeine Wunsch bey der französischen Armee ist Friede, und der Gemeine | |||||||
wie der Offizier wird bey diesem Worte wie elektrisirt. Allein es ist die | |||||||
Gewalt, sagen sie alle, die uns forttreibt. Der Geschmack an Tändeleyen, | |||||||
den sie so sehr bey ihrer großen Revolution zeigten, hat sich | |||||||
größtentheils verlohren. Viele haben mir ihr Mißfallen über solche | |||||||
Tändeleyen geaussert, und gestanden, daß in den Händen einer andern | |||||||
und solidern Nation alles besser wurde gegangen seyn. - Wenn | |||||||
es mich gleich schmerzt, daß unser schönes so reiches Land soviel gelitten | |||||||
hat, so beruhige ich mich doch wieder auf der andern Seite, | |||||||
wenn ich das Ganze von weltbürgerlichem Gesichtspunkte aus betrachte. | |||||||
Es muß zu was gut seyn, und der Gang, den die Natur nimmt, | |||||||
führt stätig zu ihrem weisen Zwecke, und wenn itzt tausend unglücklich | |||||||
sind, so werden einst Millionen glücklich werden. Am Tage nach | |||||||
der Schlacht, die an unsrer Stadt geliefert wurde, gieng ich auf das | |||||||
Schlachtfeld, um die Gräuel einer Schlacht mit anzusehen. Es ist | |||||||
eine eigene Empfindung, unter den Toden auf einem Schlachtfelde | |||||||
umherzugehen. Sie ist nicht zu beschreiben, und hier lernt man ungeheuchelt | |||||||
mit Herzensantheile den ewigen Frieden wünschen. | |||||||
Verzeihen Sie meines solangen Briefes, durch welchen ich Ihre | |||||||
Geduld vielleicht so sehr auf die Probe setzte. Schieben Sie die ganze | |||||||
Schuld auf mein Herz, das bey der tiefen Achtung, so es für Sie | |||||||
fühlt, sich in keinem Falle von Ihnen loßmachen kann: und in | |||||||
diesem Betrachte halte ich es für leicht, Vergebung von Ihnen erhalten | |||||||
zu können. Ich wiederhohle Ihnen nochmals, daß ich die | |||||||
gränzenloseste Schätzung für Sie hege, und daß ich unwandelbar mich | |||||||
Ihres so gütigen und liebevollen Betragens gegen mich dankbar errinnere. | |||||||
Voll von diesen Empfindungen empfehle ich mich Ihrem geneigten | |||||||
Andenken und verbleibe mit der größten Hochachtung | |||||||
Euer Wohlgebohrn | |||||||
gehorsamster Diener | |||||||
Konrad Stang. | |||||||
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