Kant: Briefwechsel, Brief 685, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.      
           
  5. Nov. 1795.      
           
  Werthgeschätzter HErr Professor.      
           
  Ich beantworte Ihren Brief ein wenig spät und ich muß deshalb      
  um Vergebung bitten, allein ich kann diese um so eher zu erhalten      
  versichert sein, weil eine Menge wichtiger unangenehmer Umstände mich      
  vom Schreiben abhielten. Ich habe meinen Vater, den ich unendlich      
  liebte, nach einem schmerzhaften Krankenlager von mehr als 16 Wochen      
  verlohren, und dis alles hatt mich so mitgenommen, daß ich selbst      
  mehrere Tage das Bette hüten mußte. Ietzt befinde ich mich ein wenig      
  besser und nun eile ich, Ihren mir so lieben Brief zu beantworten.      
           
  Meine Mutter hat Ihnen schon ächte Teltower Rüben besorgt,      
           
  und sie werden in den ersten Tagen der künftigen Woche von hier abgehen.      
  Es freut mich herzlich, daß ich Ihnen in irgend etwas dienen      
  kann, aber ich bitte Sie sehr, dis kleine Geschenk von mir anzunehmen;      
  Sie haben mir so viel Freundschaft erwiesen und ich bin Ihnen so      
  sehr verpflichtet, daß ich nichts eifriger wünsche, als Ihnen an wichtigern      
  Dingen zeigen zu können, wie sehr ich Sie liebe. Glauben Sie aber      
  ja nicht, daß ich ohne Ihren Brief Sie vergessen haben würde, die      
  Rüben waren schon längst für Sie bestellt und ich mache es mir zum      
  Gesetz Ihnen alle Iahr diesen kleinen Hausbedarf zu besorgen.      
           
  Für das Exemplar Ihrer Schrift: zum ewigen Frieden      
  was Sie HE. Nicolovius für mich gegeben haben, danke ich Ihnen      
  recht sehr; HE. Nicolovius ist hier noch nicht angekommen und ich      
  habe es also auch von ihm noch nicht erhalten können; aber unendlich      
  mehr danke ich Ihnen und wird Ihnen die Welt, redlicher, vortreflicher      
  Mann für diese Schrift danken. Ich habe den Innhalt derselben verschlungen,      
  Ihre Offenheit hat mich entzückt. - Aber leid thut es mir,      
  daß diese Schrift nur den Deutschen bekannt werden sollte, es finden      
  sich unter uns noch manche Hindernisse, ich will nicht sagen, die Wahrheit      
  zu erkennen, aber doch sie auszuüben; gewiß würde diese Schrift      
  bei jener großen Nation, die so manche Riesenschritte auf dem Wege      
  der politischen Aufklärung gemacht hat, viel Gutes stiften. Ich will      
  sie daher einem meiner Freunde, einem hofnungsvollen jungen Mann,      
  einem Kenner und Verehrer der kritischen Philosophie, der vor kurzen      
  von hier nach Paris gegangen ist, um dort kritische Philosophie zu      
  lehren schicken, damit er sie übersetze und dort bekannt mache; ich bin      
  überzeugt, die Schrift wird ihr Glück machen und Sie, edler Mann,      
  werden mächtig zum ewigen Frieden beitragen.      
           
  Daß Ihre Schrift hier nicht bei allen gleiche Aufnahme finden      
  würde, ließ sich zum voraus vermuthen. Herr Genz, der Übersetzer des      
  Mallet du Pan, der vielleicht fühlt, daß das was Sie von seinem Helden      
  gesagt haben, auch auf ihn angewandt werden könnte, hat eifrig dagegen      
  gesprochen und wird vielleicht dagegen schreiben; so wie er ehemals      
  gegen Ihren Aufsatz in der Berliner Monathsschrift schrieb. Als Gegner      
  möchte ferner gegen Sie ein gewisser Professor Meyer auftreten, der ehemals      
  Bibliothekar in Göttingen war, jetzt hier privatisiert und wahrscheinlich      
  von einer kleinen Pension lebt, die er, ich weiß nicht recht warum,      
  vom Hofe zieht, ein prätensionenvoller, seichter Mensch. Doch was      
           
  kümmern Ihnen diese Menschen, Sie haben den herzlichen Dank aller      
  gutgesinnten; und ich wünschte nur Ihnen beschreiben zu können, mit      
  welchem innigen Entzücken unsere besten Köpfe Ihre Schrift gelesen      
  haben. Die Nachwelt wird es Ihnen erst danken, wenn sie die Früchte      
  Ihrer Arbeit genießen wird.      
           
  Sie wundern sich über die Erscheinungen in unserer Berliner      
  Akademie. Was die auch thun mag, wundert mich nicht mehr. Da      
  sie die Frage wegen des Fortschreitens der Metaphysik seit Leibnitz      
  aufwerfen konnte, ohne die question prealable ob es überhaupt nur      
  Metaphysik gäbe, vorangehen zu laßen, so war es auch nicht zu verwundern,      
  daß sie Schwab, Abicht, Reinhold, so rangirte. Hat sie      
  doch die Frage aufgeworfen, ob es erlaubt sei das Volk zu täuschen?      
  und den Preis zwischen der Bejahung und Verneinung getheilt.      
  Hat sie doch gefragt, woher es komme, daß wir die Gegenstände aufrecht      
  sehen? - Auch die Preisaufgabe über die Sprachen, bei der der      
  Prediger Iänisch den Preis erhielt, gehört zu ihrer Characteristik, weil      
  die Männer über eine Abhandlung urtheilten, die den Geist von 13      
  Sprachen darlegte, von denen viele ihnen gänzlich unbekannt waren;      
  aber auch selbst von dieser Preisschrift des Iänisch muß ich Ihnen      
  eine sonderbare Anecdote erzählen. Sie wissen Iänisch hat unter      
  andern den Geist der russischen Sprache dargestellt. Vor ungefähr      
  14 Tagen war ich bei einem russischen Kaufmann, den ich in Carlsbad      
  kennen gelernt hatte und der sich seiner Gesundheit wegen in Berlin      
  aufhält und einer meiner Zuhörer ist, zu Tische und hier fand ich      
  den Prediger der russischen Gesandschaft. Bei Tische fiel das Gespräch      
  auf die russische Sprache und auf die Schwierigkeiten mit denen man      
  bei Erlernung derselben zu kämpfen habe; und da erzählte uns der      
  Prediger, HErr Iänisch sei als er um den Preis bei der gedachten      
  Aufgabe der Akademie concurriren wollte, zu ihm gekommen und habe      
  ihn gebeten, ihm in der russischen Sprache Unterricht zu geben; er      
  habe dis aber abgelehnt, weil es ihm zu viel Beschwerde gemacht.      
  Darauf habe ihn Iänisch gebeten, ihm einen andern Sprachlehrer zu      
  diesem Behuf vorzuschlagen und er habe seinen Küster in Vorschlag      
  gebracht. Iänisch habe auch 14 Tage bei diesem Unterricht genommen      
  und ihn dann mit einem Dukaten belohnt entlaßen. - Auf diese      
  Weise hat I. den Geist der russischen Sprache kennen gelernt,      
  wieviel beßer seine Richter unterrichtet gewesen sind, kann ich nicht      
           
  wissen. - Sie wundern sich, daß die Preise dismal nicht am Geburtstage      
  des Königs ausgetheilt sind, und glauben, daß dis immer      
  der Fall sein müße, allein darin irren Sie, die Akademie hält Ihre      
  Sitzungen nur des Donnerstags und sie vertheilt die Preise also auch      
  stets den nächsten Donnerstag nach des Königs Geburtstag, es sei      
  denn, daß dieser selbst auf einen Donnerstag fiele.      
           
  Politische Neuigkeiten von Bedeutung haben wir jetzt nicht. Caillard      
  hat seine Audienzen gehabt und das Skandalon, daß ein Bürgerlicher Gesandter      
  ist, ist überwunden. Er ist ein Mann zwischen 40 und 50Iahren;      
  und soll ein Mann von richtigem Verstande, aber doch kein außerordentlicher      
  Mensch sein. Bei der regierenden Königin hat er zwar Audienz gehabt,      
  aber eingeladen ist er noch nicht geworden, doch hat die Prinzessin      
  Heinrich dis schon gethan. - Das Ueberschreiten der Demarkationslienie      
  von Seiten der Östreicher, wodurch die Franzosen zum      
  Rückzuge genöthigt wurden, möchte manche unangenehme Folgen nach      
  sich ziehen, um so mehr, da man wissen konnte, eine Armee von      
  40 Mann, kann die 40 Meilen lange Demarkationslienie nicht      
  decken. Noch sind die Franzosen disseits des Rheins und man erwartet      
  jeden Augenblick die Nachricht von einer Schlacht, die das Schicksal      
  der Östreicher entscheidet. Übrigens ist ihr Verlust bei weitem so      
  groß nicht, als die Zeitungen sagen, sie haben ungefähr 1000 Mann      
  verlohren. - Der Erbprinz von Oranien ist immer noch hier, er ist      
  fest überzeugt, daß er wieder nach Holland zurückkehren werde, worauf      
  er diese Hofnungen gründet, kann ich nicht begreifen. - Der Minister      
  Voß hat, wie man heute sagt, seinen Abschied erhalten, er ist wie Sie      
  wissen, der Bruder der verstorbenen Ingenheim.      
           
  Aber, liebster Professor, ich ermüde Ihre Geduld und raube Ihnen      
  Ihre kostbare Zeit. Künftige Woche melde ich Ihnen, durch welchen      
  Fuhrmann ich Ihnen die Rüben schicke und sende Ihnen zugleich Fracht      
  und Accisezettel. - HErr Prof. Herz hat mir aufgetragen Ihnen recht      
  viel herzliche Grüße von ihm zu bestellen. - Ich bin unveränderlich      
  mit der innigsten Liebe und Hochachtung      
           
    Ihr      
  Berlin den 5ten November 1795. aufrichtiger Verehrer      
    I. G. C. Kiesewetter.      
           
           
           
           
     

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