Kant: Briefwechsel, Brief 677, Von Samuel Thomas Soemmerring.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Samuel Thomas Soemmerring.      
           
  Frankfurt d. 22. August 1795.      
           
  Ich kann Ihnen Mein Verhrungswürdigster Gönner meine tiefe      
  Erkenntlichkeit, und mein innigstes Danckgefühl nicht genug bezeugen      
  über die Würdigung die Sie meiner kleinen Schrift wiederfahren      
  ließen.      
           
           
  Mit dem grösten Iubelgefühl mache ich von Ihrer zuvorkommenden      
  freundschaftlichsten Erlaubniß Gebrauch und rücke Ihr Urtheil ganz      
  unverändert ein, indem ich es aufs vollkommenste beherzige.      
           
  Gestatten Sie mir nur noch mich über ein paar Punkte ein wenig      
  näher zu erklären:      
           
  So wie über den Satz: Das Hirn ist das Organ der sogenannten      
  Seelenkräfte      
  Physiker (Physiologen) und Metaphysiker meines wissens vollkommen      
  einig sind, so dächte ich wäre es nicht unmöglich, daß sie sich über      
  ein und andern Satz weiter der jenen nur noch ein wenig genauer      
  bestimmte, dergleichen nämlich als ich in dieser Lehre aufgestellt zu      
  haben glaube vereinigten, um ihn entweder zu verwerffen oder nicht      
  unwahrscheinlich zu finden. Sie suchen beiderseits ja nur eine Wahrheit,      
  und der Metaphysiker läßt sich ja gern mitunter vom Physiker      
  vorarbeiten; so sehr sich übrigens auch ihre Gebiete entfernen.      
           
  Ich habe wirklich überall, den Ausdruk Sitz der Seele aus dem      
  Spiel gelassen und nirgends mich des Ausdruks außer im Munde von      
  Andern bedient, überall bleib ich bloß beym gemeinsamen Sensorium,      
  weil ich gar wohl das unstatthafte davon einsehe ja      
  ich habe selbst deshalb § 4 ausdrücklich angeführt daß H. P[rof.] Jacob      
  die Frage über den Sitz der Seele für völlig sinnlos erklärt, worinn      
  er ja in der Hinsicht die er nimmt ganz Recht hat.      
           
  Sogar mit dem Ausdruk πρωτ. αισθητ oder sensorium commune      
  bin ich noch nicht zufrieden ohngeachtet ich bisjezt keinen schicklichern      
  Ausdruk finden konnte - Wie habe ich nicht im § 29 die Sache zu      
  drehen und wenden gesucht damit man nicht misverstände und bloß      
  den allgemeinen Sinn daraus abnähme.      
           
  Gegen die äußerst alberne Idee oder eigentlich wahren Unsinn      
  daß einige das denken im Kopf zu fühlen glauben habe ich mich schon      
  1779 beym Minister v Zedliz in großer Gesellschaft geeifert, bey Gelegenheit      
  wo G[eh.] R[ath] Mayer von selbst dergleichen mit einer eigenen      
  Art von Suffisance drucken ließ.      
           
  Die trefliche Idee von dynamischer Organisation ist mir um so      
  willkommner als ich selbst im 36 § auf etwas ähnliches hindeutete.      
           
  Ich dachte gar wohl an die Zusammensetzung des Wassers um so      
  mehr, als mich nicht nur die aus Plencks Hygrologie § 12 angeführte      
  Stelle geradezu darauf leitete, sondern als ich mich selbst pracktisch sehr      
           
  viel mit der pneumatischen Chemie beschäftigt hatte. Allein ich wagte      
  es nicht meine Gedancken über das Calorique u.s.f zu äußern, da      
  sie mir noch nicht genug thuen, und der Streit über die antiphlogistische      
  Chemie in hiesiger Gegend mit so viel Heftigkeit und Leidenschaft      
  geführt wird.      
           
  Desto mehr freue ich mich, daß ein so großer Mann diese mir      
  unangenehme Lücke so meisterhaft ausfüllt, als es mir wohl nie gelungen      
  wäre.      
           
  Meine Haupt Idee wird dadurch weit höher als ich hoffen könnte      
  gehoben, um vieles weiter gebracht.      
           
  Ich habe mich wohl gehütet die eigentliche Aufgabe wie sie nach      
  Hallern vorgestellt wird auflösen zu wollen.      
           
  In den Sätzen die ich aus Bonstetten Des Cartes, Haller, u.s.f      
  anführe habe ich bloß aufs behutsamste und vorsichtigste kat' anthropon      
  zu disputiren gesucht ohne deshalb zu ihrer Fahne zu schwören, ich      
  suche auf die placideste Weise diejenigen Seiten derselben aus die mit      
  meinen Gedancken harmoniren.      
           
  ich bin nun verlangend zu sehen, ob andern so wie mir, die      
  Vorstellung vom Hirnwasser Schwierigkeiten in der dunkeln Lehre von      
  p. a. löst.      
           
  Heinse und ich hatten große Freude als wir nach einer Trennung      
  durch den Krieg wieder zusammen kamen und fanden daß wir ohne      
  von einander zu wissen für den Satz, das Gehör ist der wichtigste      
  Sinn gearbeitet hatten, Er hatte den Satz aus speculation gefunden      
  und ich konnte ihm den anatomischen Grund dafür geben.      
           
  Wie weit sich übrigens die Mediciner dermalen zu versteigen      
  wagen, werden Sie aus meinem Auszug von Brandis v. d. Lebens      
  kraft in Darwins Zoonomia in den Goett[inger] Gel[ehrten] Anz[eigen]      
  gesehen haben.      
           
  Wenn man von einem solchen Gipfel, und mit einer solchen Wonne      
  in seine Schöpfungen zurückschauen kann, wie Sie, so weiß ich dieses      
  mit keinem irrdischen Gefühl zu vergleichen      
           
  Die Vorsehung gönne Ihnen die angenehmen und frohen Tage      
  die die edelsten Ihrer Zeitgenossen selbst mit Aufopferung der ihrigen      
  gerne zu verschaffen suchen würden.      
           
  Soemmerring.      
           
           
           
           
     

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