Kant: Briefwechsel, Brief 664, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter. |
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Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter. | |||||||
Berlin den 8 t Iuni 1795. | |||||||
Werthgeschätzter HErr Professor, | |||||||
Ich nehme mir die Freiheit Ihnen die zweite Auflage meiner | |||||||
Logik und das andere Werkchen was von mir in dieser Messe erschienen | |||||||
ist, zu überschicken; und ich würde mich glücklich schätzen, wenn | |||||||
Sie meine Arbeiten Ihrer Aufmerksamkeit nicht ganz unwürdig hielten. | |||||||
So sehr ich mich auch in dem letztern Buch bemüht habe, die Resultate | |||||||
Ihres Scharfsinns populär vorzutragen so viel bleibt mir dennoch zu | |||||||
wünschen übrig und ich habe nur zu sehr empfunden, daß das bloße | |||||||
Verstehen und Begreifen uns nicht so gleich in den Stand setzt unsere | |||||||
Erkenntniße à portée de tout le monde vorzutragen. Den Vorwurf | |||||||
etwas wichtiges aus Ihrem System übergangen zu haben, fürchte ich | |||||||
nicht, wohl aber den, daß ich noch manches hätte herauslaßen sollen, | |||||||
weil es dem im Philosophieren ungeübten Leser zu schwer werden | |||||||
möchte. Die Lehre von Raum und Zeit scheint mir ziemlich faßlich | |||||||
dargestellt zu sein, aber mehr Schwierigkeiten wird der Leser bei der | |||||||
Deduction der Categorien und bei der Aufstellung der reinen Verstandesgesetze | |||||||
finden. Die Deduction des Moralprinzips und die Beantwortung | |||||||
der Frage: was darf ich hoffen? hat mir weniger Anstrengung | |||||||
gekostet. Sollten Kenner mit diesem Werkchen nicht unzufrieden sein, | |||||||
so wäre ich entschlossen auf eine ähnliche Art die Critik der Urtheilskraft | |||||||
zu bearbeiten, ein Werk an dem meine ganze Seele hängt. | |||||||
Zu meiner großen Betrübniß ist diese Messe nichts von Ihnen | |||||||
erschienen, so sehr ich dis auch gewünscht habe. Ihre Handbücher der | |||||||
Metaphysik und Moral werden wir freilich wohl noch eine Zeitlang erwarten | |||||||
müssen, aber Sie haben schon seit einigen Iahren einige Bogen | |||||||
dem Publiko schenken wollen, die den Übergang von Ihren metaph. | |||||||
Anfangsgründen der Naturwissenschaft zur Physik selbst enthalten sollten | |||||||
und auf die ich sehr begierig bin. - Es ist mir eine sehr auffallende | |||||||
Erscheinung daß so sehr man Ihre übrigen Schriften genützt, erklärt, | |||||||
ausgezogen, erläutert u.s.w. hat, sich doch nur sehr wenige bis jetzt | |||||||
erst mit den metaph. Anfangsgründen der Naturwissenschaft beschäftigt | |||||||
haben. Ob man den unendlichen Werth dieses Buchs nicht einsieht, | |||||||
oder ob man es zu schwierig findet, weiß ich nicht. Mir ist jetzt keine | |||||||
Bearbeitung dieses Werks bekannt, als der vortrefliche Auszug aus | |||||||
demselben vom HE. Hofprediger Schulz in der allgemeinen Litteraturzeitung | |||||||
und der erläuternde Auszug vom HE. Mag. Beck den ich aber | |||||||
bis jetzt noch nicht gelesen habe. Sollte es dem Publiko nicht angenehm | |||||||
sein, wenn ein Commentar über dis Werk erschiene? mir hat es | |||||||
unter allen Ihren Schriften die meiste Mühe gemacht und ich denke | |||||||
immer noch mit großer Dankbarkeit daran, daß ich das völlige Verstehen | |||||||
derselben Ihrem mündlichen Unterricht schuldig bin. | |||||||
Die letzte Nachricht von Ihrem Wohlsein, eine Nachricht die mir | |||||||
jedesmal herzliche Freude macht habe ich vor einigen Tagen von den | |||||||
Herren Nicolovius und Hartknoch die ich auf einige Augenblicke in | |||||||
Freyberg sprach, erhalten. Es würde mir äußerst angenehm sein, | |||||||
wenn ich auch nur durch einige Zeilen von Ihnen die Nachricht erhielte, | |||||||
daß Sie gesund und froh sind, und ich würde dis zugleich als | |||||||
einen Beweis ansehen, daß Sie mich Ihrer Freundschaft nicht ganz | |||||||
unwerth halten. | |||||||
Machen Sie, wenn ich bitten darf, recht viel herzliche Empfehlungen | |||||||
von mir an HE. Prof. Krause und an dHE. Münzdirector | |||||||
Göschen und seine Familie. Ich wünschte sehr, daß der gute Mann | |||||||
einige Erleichterung seines Uebels durch den Gebrauch des Bades erhalten | |||||||
hätte. - | |||||||
Ich bin mit der aufrichtigsten Hochachtung und Liebe | |||||||
Ihr | |||||||
dankbarer Schüler | |||||||
I. G. C. Kiesewetter | |||||||
[ abgedruckt in : AA XII, Seite 023 ] [ Brief 663 ] [ Brief 665 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |