Kant: Briefwechsel, Brief 646, Von Iohann Erich Biester. |
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| Von Iohann Erich Biester. | |||||||
| Berlin, 17 Dezemb. 1794. | |||||||
| Eben als ich das letzte Quartal der Berl. Monatsschrift für Sie, | |||||||
| Verehrungswürdiger Mann, einsiegeln will, sagt mir HE Lagarde ganz | |||||||
| unerwartet, daß Sie außer den 3 ersten Monaten dieses Iahrs, kein | |||||||
| Stück erhalten hätten. Dies ist mir unbegreiflich; ich habe Ihnen | |||||||
| auch sicherlich die 3 vom 2ten Quartal zugesandt, u. ich finde in meinem | |||||||
| Handbuch darüber notirt, daß sie am 22st. Iul. abgegangen sind. Ich | |||||||
| sage dies bloß zu meiner nöthigen Entschuldigung; denn es wäre ja | |||||||
| unverantwortlich, wenn ich Ihnen diese Stücke nicht zusendete, zumal | |||||||
| da zwei so vortrefliche Aufsätze von Ihnen darin enthalten sind. Mit | |||||||
| Vergnügen lege ich diese Stücke hier noch einmal bei; es ist wenig | |||||||
| genug, womit ich Ihnen meine so verpflichtete Dankbarkeit einigermaßen | |||||||
| bezeigen kann. Sie erhalten also itzt April bis Septemb. inclus., | |||||||
| denn die 3 letzten Monate kann ich noch, wegen der durch den auswärtigen | |||||||
| Druck geschehenden Verzögerung, nicht beilegen. | |||||||
| Sollte Ihre Musse Ihnen erlauben, mir einmal wieder einen | |||||||
| Beitrag zu schenken, so wissen Sie Selbst, wie sehr Sie Sich dadurch | |||||||
| alle Leser verbinden werden. | |||||||
| Ich habe Gelegenheit gehabt, Ihre Vertheidigung an das Geistliche | |||||||
| Departem. über die Beschuldigung wegen Ihrer Schrift: die Rel. | |||||||
| innerhalb der Gränzen der Vern., zu lesen. Sie ist edel, männlich, | |||||||
| würdig, gründlich. - Nur muß es wohl Ieder bedauren, daß Sie | |||||||
| ad 2) das Versprechen freiwillig ablegen: über Religion (sowohl | |||||||
| positiv=, als natürliche) nichts mehr zu sagen. Sie bereiten dadurch | |||||||
| den Feinden der Aufklärung einen großen Triumph, u. der guten | |||||||
| Sache einen empfindlichen Verlust. Auch, dünkt mich, hätten Sie dies | |||||||
| nicht nöthig gehabt. Sie konnten auf eben die philosophische u. anständige | |||||||
| Weise, ohne welche Sie überhaupt nichts schreiben, u. welche | |||||||
| Sie so vortreflich rechtfertigen, noch immer fortfahren, über die nehmlichen | |||||||
| Gegenstände zu reden; wobei Sie freilich vielleicht wieder über | |||||||
| einzelne Fälle Sich zu vertheidigen würden gehabt haben. Oder Sie | |||||||
| konnten auch künftig bei Ihren Lebzeiten schweigen; ohne jedoch den | |||||||
| Menschen die Freude zu machen, sie von der Furcht vor Ihrem Reden | |||||||
| zu entbinden. Ich sage: bei Ihrem Leben; denn daß sie demungeachtet | |||||||
| fortfahren werden, an dem großen von Ihnen so glücklich begonnenen | |||||||
| Werke der philosophischen u. theologischen Aufklärung zu arbeiten, in | |||||||
| Hofnung daß wenigstens einst die Nachwelt (und in der That, vielleicht | |||||||
| eine sehr bald eintretende Zeit der Nachwelt) diese Arbeiten wird | |||||||
| lesen u. benutzen dürfen: davon sind wir Alle, aus Liebe zur Vernunft | |||||||
| u. Sittlichkeit, überzeugt. | |||||||
| Leben Sie wohl, vortreflicher Mann; und sein uns noch lange | |||||||
| ein Beispiel, wie ein weiser und edler Mann auch unter den Stürmen | |||||||
| welche der Vernunft drohen, sich in Gleichmuth u. innerer Zufriedenheit | |||||||
| erhalten kann. | |||||||
| Biester. | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 535 ] [ Brief 645 ] [ Brief 647 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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