Kant: Briefwechsel, Brief 644, An Carl Friedrich Stäudlin.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Carl Friedrich Stäudlin.      
           
  4. Dec. 1794.      
           
  Hochehrwürdiger Herr,      
  Theurester Freund!      
           
  Für Ihr mir gütigst zugeschicktes, jetzt vollendetes, eben so nützliches      
  als mühsames und scharfsinniges Werk, Geschichte des Scepticismus,      
  als einem Zeichen Ihrer mir so werthen Zuneigung gegen mich,      
  danke ich mit gleicher Empfindung. Eben das thue ich für Ihren      
  mir sehr angenehmen und gleichwohl so lange unbeandtwortet gelassenen      
  Brief, welche Unterlassung Sie nicht einer Achtlosigkeit, sondern dem      
  Vertrauen zuschreiben wollen, welches ich in die Nachsicht gegen mein,      
  zwar noch nicht krankes, aber doch mit Ungemächlichkeit behaftetes      
  Alter setze, das mir, bei der Mannichfaltigkeit dringender und doch nur      
  langsam fortgehenden Beschäftigungen, manchen Aufschub abnöthigt,      
  wofür ich von meinen gütigen Freunden Vergebung hoffe. - In Ansehung      
  dieses Briefes und des mir darinn geschehenen Antrages muß      
  ich mich Ihnen noch eröffnen.      
           
           
  Dieser Antrag, in einem, von Ihnen herauszugebenden theologischen      
  Iournal, auch Stücke von mir aufzunehmen, wobei ich auf die uneingeschränkteste      
  Preßfreiheit rechnen könne, ist mir nicht allein rühmlich,      
  sondern kam mir auch erwünscht, weil, ob ich gleich diese Freiheit in      
  ihrem ganzen Umfange nicht einmal zu benutzen Sinnes war, doch      
  das Ansehen einer unter dem orthodoxen Georg III, mit dem eben so      
  rechtgläubigen Friedr. Wilh. II, als befreundeten desselben, stehenden      
  Universität, mir, meiner Meinung nach, zum Schilde dienen könnte, die      
  Verunglimpfungen der Hyperorthodoxen (welche mit Gefahr verbunden      
  sind) unseres Orts zurückzuhalten.      
           
  - Ich habe daher eine in dieser Idee abgefaßte Abhandlung      
  unter dem Titel Der Streit der Facultäten" schon seit einiger Zeit      
  fertig bei mir liegen, in der Absicht sie Ihnen zuzuschicken. Sie scheint      
  mir interessant zu seyn, weil sie nicht allein das Recht des Gelehrtenstandes,      
  alle Sachen der Landesreligion vor das Urtheil der theologischen      
  Facultät zu ziehen, sondern auch das Interesse des Landesherren,      
  dieses zu verstatten, überdem aber auch eine Oppositionsbank      
  der philosophischen gegen die erstere einzuräumen ins Licht stellt,      
  und nur nach dem Resultat der Idee, der durch beide Facultäten      
  instruirten Geistlichen, als Geschäftsmänner der Kirche, sofern sie ein      
  Oberconsistorium ausmachen, die Sanctionirung einer Glaubenslehre      
  zu einer öffentlichen Religion dem Landesherren zur Pflicht= sowohl      
  als Klugheitsregel macht, indessen daß er andere fromme Gesellschaften,      
  die nur der Sittlichkeit nicht Abbruch thun, als Secten toleriren      
  kann. - Ob nun gleich diese Abhandlung eigentlich bloß publicistisch      
  und nicht theologisch ist ( de iure principis circa religionem et ecclesiam ),      
  so habe ich doch nöthig gefunden, um diejenige Glaubenslehre, die      
  ihrer innern Beschaffenheit wegen nie Landesreligion, sondern nur      
  Secte abgeben und von der Landesherrschaft nicht sanctionirt werden      
  kann, deutlich zu bezeichnen, Beispiele anzuführen, die vielleicht die      
  einzige sind, welche die Unfähigkeit einer Secte Landesreligion zu      
  werden, ihrer Ursache sowohl als Beschaffenheit nach, begreiflich machen.      
  Hiebei muß ich doch fürchten, daß - nicht bloß um dieser, sondern      
  auch anderer Anführungen von Beispielen willen - die jetzt unseres      
  Orts in großer Macht stehende Censur Verschiedenes davon auf sich      
  deuten und verschreyen möchte und habe daher beschlossen, diese Abhandlung,      
  in der Hoffnung daß ein naher Frieden vielleicht auch auf      
           
  dieser Seite mehr Freyheit unschuldiger Urtheile herbeiführen dürfte,      
  noch zurück zu halten; nach diesen aber sie Ihnen, allenfalls auch nur      
  zur Beurtheilung, ob sie wirklich als theologisch oder als bloß statistisch      
  anzusehen sey, mitzutheilen.      
           
  Noch bitte ich inständigst: Ihrem vortrefflichen Hrn. Hofrath      
  Lichtenberg, der, durch seinen hellen Kopf, seine rechtschaffene      
  Denkungsart, und unübertreffbare Laune, vielleicht besser dem Uebel      
  eines trübseligen Zwangsglaubens entgegen wirken kann, als andere      
  mit ihren Demonstrationen - meinen größten Dank für sein gütiges      
  und unverdientes Geschenk "der Sammlung und Beschreibung Hogartscher      
  Kupferstiche" zu sagen, indem ich zugleich den Kostenaufwand der      
  Fortsetzung derselben verbitte. - An Hr. D. Plank bitte gelegentlich      
  meine Empfehlung zu machen, wobei ich das Vergnügen nicht bergen      
  kann, daß, da die vorhin bei uns so geschätzte Denkfreiheit entflohen      
  ist, sie doch, bey so wackeren Männern, als Ihre Universität enthält,      
  hat Schutz finden können.      
           
  Mit der vollkommensten Hochachtung und wahrer Zuneigung bin      
  ich jederzeit      
           
    Ew. Hochehrwürd.      
  Königsberg, ganz ergebenster treuer Diener      
  den 4. Dec. 1794. I. Kant.      
           
           
           
     

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