Kant: Briefwechsel, Brief 643, An Franéois Théodore de la Garde.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Franéois Théodore de la Garde.      
           
  24. Nov. 1794.      
           
  Ew: Hochedelgebohren      
  den 8ten Nov. an mich abgelassenes, den      
  22ten ejusd. eingegangenes Schreiben, zusammt einem Theile des      
  Anacharsis und einem des Montaigne, nebst dem beygefügten Geschenk      
  der Philosophie Sociale , deren Äußerung mir viel Vergnügen gemacht      
  hat, verdienen meinen herzlichen Danck. Auch weiß ich nicht, Daß Sie      
  wegen des Aeqvivalents für die Freyexemplare bey mir noch im Rest      
  seyn sollten, vornehmlich wenn künftig der 6te Theil des Montaigne      
  noch dazu kommt; daher die Beylegung Ihres Verlagscatalog's (den      
  ich aber im Packet nicht vorgefunden habe) in dieser Absicht nicht nöthig      
  war. Aber darinn thun Sie mir unrecht, daß Sie die Saumseligkeit      
           
  meiner Correspondenz einer Unzufriedenheit meinerseits zuzuschreiben      
  scheinen; wozu ich in der That gar keine Ursache habe.      
           
  Daß ich bey einigen meiner neueren Verlagsartikel mich nicht an      
  Sie gewandt habe, davon ist nichts anders Ursache, als weil ich, bey      
  meiner eingezogenen Lebensart, täglich einen hinreichenden Vorrath      
  neuen Meßguts, gleichsam als Nahrung, statt alles übrigen Genusses,      
  des Abends nöthig habe und hiezu der Willfährigkeit eines oder des      
  anderen der hiesigen Buchhändler bedarf, die mir, wenn ich ihnen      
  nicht auch etwas zum Verlag gebe, verweigert wird, als wovon ich      
  schon die Erfahrung habe. - Indessen hoffte ich doch dieses Verkehr      
  theilen und so mit Ihnen auch Geschäfte machen zu können und gebe      
  diese Hofnung, unerachtet zweyer Hindernisse auch jetzt nicht auf: deren      
  eine ist, daß in meinem ziemlich hohen Alter meine schriftstellerische      
  Arbeit nur langsam und mit vielen durch Indisposition verursachten      
  Unterbrechungen fortrückt, so, daß ich für die Vollendung derselben      
  keinen Termin (wenigstens jetzt nicht) sicher bestimmen kann: die andere,      
  daß, da mein Thema eigentlich Metaphysik in der weitesten Bedeutung      
  ist und, als solche, Theologie, Moral (mit ihr also Religion) imgleichen      
  Naturrecht (und mit ihm Staats= und Völkerrecht), obzwar nur nach      
  dem, was blos die Vernunft von ihnen zu sagen hat, befaßt, auf      
  welcher aber jetzt die Hand der Censur schweer liegt, man nicht sicher      
  ist, ob nicht die ganze Arbeit, die man in einem dieser Fächer übernehmen      
  möchte, durch einen Strich des Censors vereitelt werden      
  dürfte. - Wenn nur der Friede, welcher nahe zu seyn scheint, eingetreten      
  seyn wird, so werden hoffentlich noch bestimmtere Verordnungen      
  die Schranken, in denen sich der Autor zu halten hat, genauer vorzeichnen:      
  so, daß er in dem, was ihm noch frey gelassen wird, sich für      
  gesichert halten kann. - Bis dahin, Werther Freund, werden Sie sich      
  also gedulden: indessen daß ich meine Arbeiten in guter Erwartung      
  fortsetze.      
           
  Eines bitte ich doch mir zu Gefallen zu thun: nämlich Herren      
  Dr Biester zu fragen, was die Ursache sey, daß ich, außer dem ersten      
  Qvartal der Berl : M[onats] S[chrift] (nämlich dem Jan: Febr. und Mart.),      
  bis jetzt noch kein Stück von ihm erhalten habe; nicht einmal die Zwey, in      
  welchen ich Abhandlungen geliefert habe, von denen es Sitte ist dem      
  Autor ein Exemplar zuzuschicken. Lieber wäre es mir wohl, wenn es      
  ihm gefiele mir schriftlich hierüber einen Aufschlus zu geben; doch,      
           
  wenn das nicht seyn kann, bin ich auch mit einer mündlichen Antwort      
  zufrieden. - Von Ihrer Seite erbitte mir alsdann die Gefälligkeit,      
  diese Antwort, auf welche ich mit einiger Ungedult warte, mit der      
  nächsten Post auf meine Kosten gütigst mir zukommen zu lassen.      
           
  Ubrigens bin jederzeit mit vollkommener Hochachtung und Freundschaft      
       
           
    Ew. Hochedelgebohren      
    ganz ergebener Diener      
  Koenigsberg I Kant      
  den 24 Novembr.        
  1794        
           
           
           
     

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