Kant: Briefwechsel, Brief 591, Von Iohann Gottlieb Fichte. |
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| Von Iohann Gottlieb Fichte. | |||||||
| 20. Sept. 1793. | |||||||
| Mit inniger Freude, Verehrungswürdigster Gönner, erhielt ich den | |||||||
| Beweiß, daß Sie auch noch in der Entfernung mich Ihres gütigen | |||||||
| Wohlwollens würdigten, Ihren Brief. Meine Reise war nach Zürich | |||||||
| gerichtet, wo schon bei meinem ehemaligen Aufenthalte ein junges sehr | |||||||
| würdiges Frauenzimmer mich ihrer besondern Freundschaft werth hielt. | |||||||
| Noch ehe ich nach Königsberg reiste, wünschte sie meine Rükkkehr nach | |||||||
| Zürich, und unsre völlige Verbindung. Was ich damals, da ich noch | |||||||
| nichts gethan hatte, mir nicht für erlaubt hielt, erlaubte ich mir jetzo, | |||||||
| da ich wenigstens für die Zukunft versprochen zu haben schien, etwas | |||||||
| zu thun. - Diese Verbindung, welche bisher durch unvorhergesehne | |||||||
| Schwierigkeiten, welche die Zürcher Gesetze Fremden entgegensetzen, | |||||||
| aufgehalten worden, in einigen Wochen aber Statt finden wird, gäbe | |||||||
| mir die Aussicht mich in unabhängiger Muße dem Studiren zu widmen, | |||||||
| wenn nicht der an sich herzensgute, mit meinem individuellen Charakter | |||||||
| aber sehr unverträgliche Charakter der Zürcher mich eine Veränderung | |||||||
| des Wohnorts wünschen machte. | |||||||
| Ich erwarte die gleiche Freude von der Erscheinung Ihrer Metaphysik | |||||||
| der Sitten, mit welcher ich Ihre Religion innerhalb der Grenzen etc. | |||||||
| gelesen habe. Mein Plan in Absicht des Naturrechts, des Staatsrechts, | |||||||
| der Staatsweisheitslehre geht ins weitere, und ich kann leicht | |||||||
| ein halbes Leben zur Ausführung deßelben bedürfen. Ich habe also | |||||||
| immer die frohe Aussicht Ihr Werk für dieselbe zu benutzen. - Sollten | |||||||
| bis dahin meine Ideen sich formen, und ich auf unerwartete Schwierigkeiten | |||||||
| stoßen; wollen Sie dann wohl erlauben, daß ich mir Ihren | |||||||
| gütigen Rath erbitte? Vielleicht lege ich, doch anonym, in verschiednen | |||||||
| Einkleidungen meine der Entwiklung entgegenstrebende Ideen dem | |||||||
| Publikum zur Beurtheilung vor. Ich gestehe, daß schon etwas dieser | |||||||
| Art von mir im Publikum ist, wovon ich aber vor der Hand nicht | |||||||
| wünschte, daß man es für meine Arbeit hielte, weil ich viele Ungerechtigkeiten | |||||||
| mit voller Freimüthigkeit, und Eifer gerügt habe, ohne | |||||||
| vor der Hand, weil ich noch nicht soweit bin, Mittel vorgeschlagen | |||||||
| zu haben, wie ihnen ohne Unordnung abzuhelfen sey. Ein enthusiastisches | |||||||
| Lob, aber noch keine gründliche Beurtheilung dieser Schrift ist | |||||||
| mir zu Gesichte gekommen. Wollen Sie mir dieses - soll ich sagen | |||||||
| Zutrauen, oder Zutraulichkeit? - erlauben, so schike ich es Ihnen zur | |||||||
| Beurtheilung zu, sobald ich die Fortsetzung aus der Preße erhalte. | |||||||
| Sie, verehrungswürdiger Mann, sind der Einzige, deßen Urtheile sowohl, | |||||||
| als deßen strenger Verschwiegenheit ich völlig traue. Ueber | |||||||
| politische Gegenstände sind leider! bei der jetzigen besondren Verwikelung | |||||||
| fast Alle partheiisch, selbst recht gute Denker; entweder furchtsame Anhänger | |||||||
| des Alten, oder hitzige Feinde deßelben, blos weil es alt ist. | |||||||
| - Wollen Sie mir diese gütige Erlaubniß ertheilen, ohne welche ich | |||||||
| es nicht wagen würde, so wird, denke ich, der Herr HofPrediger Schulz | |||||||
| Gelegenheit haben, Briefe an mich zu besorgen. | |||||||
| Nein - großer, für das Menschengeschlecht höchstwichtiger Mann, | |||||||
| Ihre Arbeiten werden nicht untergehen, sie werden reiche Früchte | |||||||
| tragen, sie werden in der Menschheit einen neuen Schwung, und eine | |||||||
| totale Wiedergeburt ihrer Grundsätze, Meinungen, Verfaßungen bewirken: | |||||||
| Es ist, glaube ich, nichts, worüber die Folgen derselben sich | |||||||
| nicht verbreiteten. Und diesen Ihren Entdeckungen gehen frohe Aussichten | |||||||
| auf. Ich habe Herrn H. Pr. Schulz darüber einige Bemerkungen | |||||||
| geschrieben, die ich auf meiner Reise gemachte und ihn gebeten, sie | |||||||
| Ihnen mitzutheilen. | |||||||
| Was muß es seyn, großer, und guter Mann, gegen das Ende | |||||||
| seiner irdischen Laufbahn solche Empfindungen haben zu können, als | |||||||
| Sie! Ich gestehe, daß der Gedanke an Sie immer mein Genius seyn | |||||||
| wird, der mich treibe, soviel in meinem Wirkungskreise liegt, auch | |||||||
| nicht ohne Nutzen für die Menschheit von ihrem Schauplatze abzutreten. | |||||||
| Ich empfehle mich der Fortdauer Ihres gütigen Wohlwollens, und | |||||||
| bin mit der vollsten Hochachtung, und Verehrung | |||||||
| Euer Wohlgebohrn | |||||||
| Zürich, | innigst ergebner | ||||||
| d. 20. 7br: 1793. | Fichte. | ||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 451 ] [ Brief 590a ] [ Brief 592 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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