Kant: Briefwechsel, Brief 567, Von Friedrich Heinrich Christian Schwarz. |
|||||||
|
|
|
|
||||
Von Friedrich Heinrich Christian Schwarz. | |||||||
7. April 1793. | |||||||
Verehrungswürdigster Lehrer! | |||||||
Sehen Sie es nicht als jenen zudringlichen Stolz an, womit man | |||||||
einen grosen Mann oft zu belästigen pflegt, wenn Sie diesen Brief | |||||||
von einem Unbekannten erhalten. Die reinste Achtung und Dankbarkeit | |||||||
für Sie beherrscht mein Herz schon lange, und warum sollte ich | |||||||
länger dem Drange, dessen Befriedigung mir zum Bedürfniß geworden | |||||||
ist, widerstehen? Und gewiß, Sie sehen mir es nach, wenn ich einen | |||||||
Fehler gegen die feine Lebensart begehe und der Bescheidenheit zu | |||||||
nahe trete, um Ihnen zu sagen, daß ich - ewig Ihr Schuldner bin. | |||||||
Wenigstens wäre meine Ruhe zu Grunde gerichtet gewesen, wenn Sie | |||||||
ihr nicht zu rechter Zeit zu Hülfe gekommen, und die traurigen Zweifel | |||||||
des Empirismus, die Antinomieen, woraus mein Geist sich vergebens | |||||||
zu ringen bemühete, durch Ihre Kritik gelöset hätten. Zwar waren | |||||||
die Lehren des Evangeliums mir immer heilig, ich fühlte dabey eine | |||||||
Wahrheit, die ich gerne gegen alle feindlichen Angriffe gesichert gesehen | |||||||
hätte, aber die Entscheidung der Vernunft war mir doch über alles | |||||||
heilig, und eben daher kam ich in das fürchterlichste Gedränge. Zum | |||||||
Glück empfahl mir damals mein Freund Snell in Giesen Ihre Kritik | |||||||
und meine Ruhe ist auf ewig gerettet! O, theurer Mann, mit | |||||||
Thränen in den Augen schreibe ich dieß - könnte ich, könnte ich | |||||||
Ihnen nur die Gefühle meines Herzens zurufen - Gott sey Ihr | |||||||
Lohn! | |||||||
Sie haben keinen neuen Glauben, keine neue Tugend gelehrt, | |||||||
aber Sie haben Ideen eröffnet, welche in einem Zeitalter, da die | |||||||
Philosophie ihre höchste Vermessenheit erreichte, und sich mit der Frivolität | |||||||
verbündete, nur allein die nöthige Stütze geben konnten. Wenn | |||||||
einst eine Geschichte in weltbürgerlicher Absicht nach Ihrer vortrefflichen | |||||||
Idee entworfen wird, dann wird Kants Zeitalter durch einen Glanz | |||||||
hervorstechen, dessen sich die Nachwelt um so mehr freuen muß, je | |||||||
drohender ihr die Gefahr erscheinen wird, worin die vorhergehenden | |||||||
Sophistereyen unsern Welttheil würden gestürzt haben. - Doch hiervon | |||||||
muß ich schweigen. | |||||||
Schon über 6 Iahre sind es, daß ich Ihre Schriften studiert | |||||||
habe. Ich läugne nicht, daß mir dieses Studium Anfangs schwer | |||||||
wurde - wahrscheinlich darum, weil mein Kopf zu viel an die Leibnitz=Wolfische | |||||||
Schule gewöhnt war. Aber jetzt glaube ich Sie völlig | |||||||
zu verstehen, und finde mich nun um so mehr für jenes Studium | |||||||
belohnt. Ia es wird mir oft unbegreiflich, wie man Sie noch mißverstehen | |||||||
kann, und das verleitet mich beynahe zu dem intoleranten | |||||||
Urtheile, daß die Gegner Ihres Systems einige Schuld an ihren | |||||||
Vorurtheilen und Mißverständnissen haben. Doch die gute Sache muß | |||||||
am Ende siegen. Die Resultate Ihrer Philosophie scheinen mir jetzt | |||||||
so natürlich, so plan, daß ich nicht die beste Meinung von meinem | |||||||
Kopfe hegen kann, der Sie nicht sogleich verstehen konnte. Selbst in | |||||||
meinem Predigtamte bey einer Dorfgemeinde und in meinem Erziehungsgeschäfte, | |||||||
das ich dabey besorge, fühle ich durch die kritische | |||||||
Philosophie mich außerordentlich erleichtert. Aber eben darum fand | |||||||
ich mich gedrungen, zu dem Publikum in betreff der krit. Philos. schon | |||||||
einige Male zu reden. Sie wird hin und wieder so sehr verkannt, | |||||||
und zwar bey jetzigen Zeitläuften auf eine sehr gefährliche Art verkannt, | |||||||
daß es die Pflicht eines jeden ist, der es mit der Welt wohl | |||||||
meint, der dabey Fähigkeit und inneren Beruf in sich fühlt, jene | |||||||
großen Ideen, die unser verehrungswürdiger Lehrer erfand, von mancherley | |||||||
Seiten darzustellen und in Umlauf zu bringen. Ich habe dieses | |||||||
neulich in einer Schrift über Erziehung der Töchter versucht, weil | |||||||
Ihre Ideen einer jeden Erziehungstheorie, die zweckmäßig und gründlich | |||||||
seyn soll, zum Grunde liegen müssen. Und nun machte ich einen | |||||||
andern Versuch in beyliegender Schrift über Religiosität. Verzeihen | |||||||
Sie, mein theuerster Lehrer, wenn Ihr dankbarer Schüler Ihnen durch | |||||||
Ueberreichung eines Exemplars einen wiewohl bey weitem zu geringen | |||||||
Beweis seiner Achtung geben wollte. Vielleicht würdigen Sie diese | |||||||
Schrift nur mit einem Blick zu durchlaufen; bemerken Sie dann einigen | |||||||
Werth in derselben, so darf ich sie ja ungescheut Ihrem Schutze empfehlen; | |||||||
finden Sie hingegen die Unvollkommenheiten überwiegend, so | |||||||
bitte ich um nichts weiter, als die Absicht des Verf[assers] gütig zu beurtheilen. | |||||||
Auf jeder Seite hätte ich Sie, als Gewährsmann nennen | |||||||
müssen, wenn mir das nicht der schuldigen Ehrerbietung zu nahe zu | |||||||
treten geschienen hätte, den Namen eines grosen Mannes zu oft im | |||||||
Munde zu führen, und ihn vielleicht durch meine Schwächen zu entweihen. | |||||||
Damals, wie ich das Werkchen schrieb, hielt ich Sie noch für | |||||||
den Verf[asser] der Krit. aller Offenbarung. | |||||||
Alle Ihre größeren und die meisten Ihrer kleineren mir bekannten | |||||||
Schriften habe ich gelesen; nur wünschte ich, und das ist wohl der | |||||||
Wunsch des ganzen philosophischen Publikums, Ihre kleineren Schriften | |||||||
in einer vollständigen Sammlung zu sehen. Und je mehr ich von | |||||||
Ihnen lese, desto mehr wünsche ich von Ihnen zu lesen. Für Ihre | |||||||
Verehrer haben Sie immer noch zu wenig geschrieben, ohnerachtet der | |||||||
innere Gehalt auch Ihrer kleinsten Abhandlung von unendlicher Wichtigkeit | |||||||
ist. Wann erhalten wir Ihre Moral? und Ihre andern | |||||||
Systeme? - Ihnen, unschätzbarer Mann, ein heiteres Alter, ein glückliches | |||||||
Leben, eine lange, bis zum höchsten Erdenziele verlängerte, Gesundheit | |||||||
wünschen, das heißt von der Vorsehung eine der größten | |||||||
Segnungen für unser - und das künftige - Zeitalter erbitten. | |||||||
Doch schon wieder muß ich die unbescheidne Darlegung meiner Gefühle, | |||||||
wovon das Herz für Sie überströmt, mit Gewalt zurückhalten. | |||||||
Mein Schwiegervater, der Prof. Jung in Marburg, läßt Ihnen | |||||||
seine dankbare Verehrung versichern. - Ich würde Sie nicht selbst | |||||||
durch dieses Schreiben belästigt haben, sondern durch einen meiner | |||||||
akademischen Freunde, den Mag. Diefenbach, das Buch haben überreichen | |||||||
lassen, wenn ich wüßte, ob dieser würdige Mann noch in | |||||||
Königsberg wäre. Also nochmals Verzeihung dafür, daß ich einem | |||||||
Manne hierdurch seine Zeit raubte, die der Welt so unendlich schätzbar | |||||||
ist! - Verzeihung für eine Zudringlichkeit, die meine innige Achtung | |||||||
für Sie nothwendig machte, und Ihre erhabne Denkungsart gütig | |||||||
aufnehmen wird | |||||||
Ihrem dankbaren Verehrer, | |||||||
F. H. C. Schwarz. | |||||||
Dexbach im Hessendarmstaedtischen ohnfern Marburg | |||||||
d: 7ten Apr. 1793. | |||||||
[ abgedruckt in : AA XI, Seite 419 ] [ Brief 566 ] [ Brief 568 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |