Kant: Briefwechsel, Brief 431, Von H. von Thile geb. von Runkel. |
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Von H. von Thile geb. von Runkel. | |||||||
Roeßel den 18ten May 90. | |||||||
HochEdelgebohrner Herr | |||||||
höchstgeehrtester Herr Profeßor | |||||||
Ich fühle zu sehr daß ich Eu: HochEdelgeb. in diesen Augen | |||||||
blick unbescheiden scheinen muß um nicht mit einiger Verlegenheit die | |||||||
Feder zu ergreifen; fremd in diesen Lande, hatte ich nie das Glück | |||||||
von Ihnen gekannt zu seyn, und doch wage ich es mir jhren Rath | |||||||
und Beystand zu erbitten. Eine treue Schilderung meiner Lage sey | |||||||
meine Rechtfertigung, und die erste aller Pflichten die mütterliche | |||||||
Sorgfalt entschuldige mich wenn ich die Grenzen der Bescheidenheit | |||||||
überschreiten muß. Kannte ich Eu: Hochedelgeb: nur unter den Nahmen | |||||||
des ersten Weltweisen Deutschlands, ich hätte gewis nicht den Muth | |||||||
gehabt mich so dreist an Ihnen zu wenden, aber der allgemeine Ruf | |||||||
schildert Ihnen so edel, so menschenfreundlich daß der Gedanke jhnen | |||||||
zu mißfallen durch das innigste Zutrauen auf Ihre Güte verdrängt | |||||||
wird. | |||||||
Ich brachte als ich vor 3 Iahren in dieß Land kam einen Hofmeister | |||||||
für meine beyden Söhne mit; dieser starb vor einigen Tagen, | |||||||
und Seine Stelle gut zu ersetzen ist jetzt um so mehr mein eifriger | |||||||
Wunsch da durch die Abwesenheit meines Mannes meine Söhne die | |||||||
Leitung des vortreflichsten Vaters entbehren müßen, und einen Führer | |||||||
um so nöthiger brauchen. Ich glaube diesen Endzweck am sichersten | |||||||
zu erreichen wenn ich Eu: HochEdelgeb. beschwöre mir in dieser Wahl | |||||||
behülflich zu seyn. Ich sehe mich genöthigt Dieselben mit meiner Familie | |||||||
bekannter zu machen, jhnen meine Söhne so unpartheyisch zu schildern | |||||||
als es eine Mutter vermag Ihnen den Grad Ihrer Kenntniße zu bestimmen, | |||||||
um wo möglich dadurch die Wahl zu erleichtern. Mein | |||||||
ältester Sohn ist 9 der jüngere 7 jahr alt. Beyde sind gesund an | |||||||
Geist und Körper, beyde haben sanfte gefühlvolle Herzen, heiter offne | |||||||
Seelen durch keinen Zwang zur Verstellung gereitzt, durch keine Härte | |||||||
gedemüthigt oder erbittert; äußerst lebhaft, oft leichtsinnig und unbedachtsam, | |||||||
so weit gleichen sich beyde vollkommen. Der älteste hat | |||||||
bey vielen Fähigkeiten eben so viel Lehrbegierde, den Wunsch sich | |||||||
einigermaßen auszuzeichnen, und die Ueberzeugung daß man nur | |||||||
durch Anstrengung und Bemühung diesen Endzweck erreicht. Bey solchen | |||||||
glücklichen Anlagen würde Er es in jeder Seinen Alter angemeßnen | |||||||
Wißenschafft weiter gebracht haben wenn Sein bisheriger Hofmeister | |||||||
selbst einige Kenntniße gehabt hätte, allein dieser war ein Franzose | |||||||
der außer seiner Sprache den Kindern keinen Unterricht geben konnte; | |||||||
wir suchten diesen Mangel durch einen Geistlichen aus der Nachbarschafft | |||||||
zu ersetzen, aber die Geschäffte dieses würdigen Mannes und seine | |||||||
Entfernung setzten jhm außer Stand meine Kinder so oft zu unterrichten | |||||||
als wir gewünscht hätten. Mein ältester Sohn spricht, ließt, | |||||||
und schreibt, deutsch und französisch gut; durch Sein glückliches Gedächtni | |||||||
hat Er den Unterricht in Historie und Geographie ziemlich | |||||||
genutzt, im Rechnen hat Er es weiter gebracht und wird daher Seinen | |||||||
Lehrer den Unterricht in der Mathematick erleichtern. Mein jüngster | |||||||
Sohn hat bey eben den Fähigkeiten nicht eben die Fortschritte gemacht; | |||||||
ein noch größerer Grad von Lebhaftigkeit, mehr kindischer Leichtsinn, | |||||||
auch der Unterschied des Alters macht daß Er seinen Bruder zurücksteht. | |||||||
er ließt auch beyde Sprachen, schreibt nicht so gut als jener, und ist | |||||||
auch im Rechnen nicht so weit. So viel von meinen Söhnen. | |||||||
Wir wünschten in den Führer dieser Kinder vorzüglich einen | |||||||
untadelhaften moralischen Charakter zu finden. Er bilde meine Söhne | |||||||
erst zu guten Menschen, dann zu brauchbaren Gliedern des Staates. | |||||||
Beyde sind zum militair Stand bestimt aber nicht so ausschließungswei | |||||||
daß wir nicht wünschen sollten jhnen andre Wege zu bahnen | |||||||
wenn unvorhergesehene Umstände Sie von diesen entfernten. Mathematick, | |||||||
Geometrie sind die Wißenschafften die wir am meisten bey | |||||||
einen Hofmeister anzutreffen wünschten, dann Kenntniße von Natur | |||||||
und Völkerrecht damit meine Söhne dem Vaterland dereinst auch im | |||||||
politischen Fache nützlich werden können Sprachen Kenntniß wäre ein | |||||||
wünschenswerther Zusatz der aber nicht zur Bedingung gemacht wird | |||||||
weil wir fürchten daß es ein seltner Vorzug ist. Den Gehalt würden | |||||||
wir Eu: HochEdelgebohren selbst zu bestimmen überlaßen und uns hier über | |||||||
ihre Meinung erbitten. Unßer Betragen gegen den Mann der die | |||||||
schwere Pflicht der Erziehung übernimmt wird immer den Wunsch | |||||||
entsprechen in Ihm den Freund unßeres Hauses und unßrer Kinder | |||||||
zu finden. Iede Seiner Bemühungen werden jhm Seine Zöglinge mit | |||||||
wahrer Anhänglichkeit, wir mit Erkenntlichkeit und Freundschafft lohnen. | |||||||
Iedes Talent daß er in jhnen entwickelt danken wir jhm mit Freuden, | |||||||
jede Tugend die Er jhren Herzen einflößt mit Entzücken. | |||||||
Vergeben Eu: HochEdelgebohren daß ich so weitläuftig ward, es | |||||||
betraf daß was mir in diesen Leben am liebsten und am wichtigsten | |||||||
ist. Möchten Sie nach dieser Empfindung den Grad meiner Erkenntlichkeit | |||||||
berechnen. Sie ist so unbeschränkt als die Hochachtung und | |||||||
Ergebenheit mit welcher ich die Ehre habe zu seyn | |||||||
Eu: HochEdelgebohren | |||||||
ganz gehorsamste Dienerinn | |||||||
H. von Thile geb. von Runkel | |||||||
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