Kant: Briefwechsel, Brief 409, Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Gottfried Carl Christian Kiesewetter.      
           
  3. März 1790.      
           
  Bester Herr Professor,      
  Was Sie mir in Ihrem letzten Briefe (für den ich Ihnen den      
  besten Dank abstatte) vorausgesagt haben, ist richtig eingetroffen, mein      
  Körper hat meinen wirklich zu sehr gehäuften Arbeiten unterliegen      
           
  müssen, und ich habe 14 Tage hindurch an Krämpfen im Unterleibe      
  so gelitten, daß ich das Bette nicht verlaßen konnte, kaum hatten sie      
  im Unterleibe nachgelaßen, so stiegen sie nach der Brust und zogen      
  die Lunge so zusammen, daß mir das Reden äußerst beschwerlich wurde.      
  Das letzte Übel ist nun gehoben, aber die Krämpfe stellen sich doch      
  immer noch zuweilen ein, und ich muß zu meinem Ärger wie ein      
  altes Weib Asa foetida gebrauchen. Nun bestürmt man mich von      
  allen Seiten, daß ich weniger studiren soll, und ich muß wirklich etwas      
  nachgeben.      
           
  Was meine äußere Lage betrift, so ist diese um ein gut Theil      
  beßer, und ich habe alle Ursach zufrieden zu sein. Der Minister von      
  Schulenburg that mir gestern schriftlich den Antrag zu ihm ins Haus      
  zu ziehen und der Gesellschafter (nicht Hofmeister, denn dazu würde      
  ich mich nie verstehen) seines 17jährigen Sohnes zu werden; er sagt      
  mir in seinem Briefe, daß ich weiter keine Verpflichtung auf mich      
  nehmen sollte, als der Freund und Rathgeber seines Sohnes zu sein,      
  daß ich meine völlige Freiheit behalten uud Collegia lesen könnte,      
  wann und wieviel ich wollte. Er hat mich auf künftigen Sonntag zu      
  Tisch gebeten, wo wir uns über die anderweitigen Bedingungen unterreden      
  wollen; wie mir der Kanzler von Hoffmann vorläufig gesagt hat,      
  so wird er mir freie Station und 200 rthlr Gehalt anbieten. Ich      
  bin bis jetzt entschlossen das Anerbieten anzunehmen. - Ferner arbeitet      
  man jetzt stark daran, daß ich den Unterricht der beiden jüngsten      
  Prinzen des Königs in der Mathematik, und wenn es möglich ist,      
  des zweiten Sohns desselben (des Prinzen Louis) in der Philosophie      
  erhalten soll; der Kronprinz hat Engel zum Lehrer. Bis jetzt gehen      
  die Negociationen ganz gut. - Der Unterricht der Prinzessin Auguste      
  ist mir für das künftige Iahr nicht mehr zu nehmen. Sollte ich      
  reussiren, so sollen Sie, verehrungswürdiger Mann, es gewiß am ersten      
  wissen.      
           
  Sie werden sich vielleicht noch erinnern, daß ich Ihnen während      
  meines Aufenthalts in. Königsberg einmal sagte; ich fürchtete, man      
  würde in mich dringen, etwas drucken zu laßen, und was ich fürchtete,      
  ist wirklich geschehen. Da nun die erste Ausgabe meiner kleinen      
  Schrift über den ersten Grundsatz der Moralphilosophie vergriffen ist,      
  so habe ich mich entschlossen eine neue ganz umgearbeitete Auflage zu      
  besorgen, sie mit 3 Abhandlungen, über die Übereinstimmung Ihres      
           
  Moralsystems, mit den Lehren des Christenthums, über den Glauben      
  an die Gottheit und über die Unsterblichkeit der Seele zu vermehren      
  und sie dem Könige zuzueignen, und alle haben dis sehr gut gefunden.      
  Wenn Sie etwa in Ihrem nächsten Briefe mir einige Bemerkungen      
  zu den drei letzten Abhandlungen mittheilen wollten, so würde ich mich      
  unendlich glücklich schätzen. Vorzüglich liegt mir der erste Zusatz am      
  Herzen, und Sie können leicht einsehen, weshalb; ich bin überzeugt,      
  daß man wenigstens das ganz deutlich machen kann, daß der Grundsatz      
  Ihres Moralsystems, sich mit den Lehren der christlichen Religion      
  ganz wohl verträgt, vielleicht auch, daß wenn Christus Sie gehört und      
  verstanden hätte, er gesagt haben würde, ja das wollte ich auch durch      
  mein Liebe Gott etc. sagen. Heucheln kann ich und werde ich nicht,      
  aber ich will für die gute Sache thun, was ich kann. - Wöllner hat      
  sich sehr darüber gefreut, daß ich die erste Abhandlung anhängen will.      
  Ich versichre Sie, theuerster Herr Professor, daß ich zuweilen in Lagen      
  gesetzt worden bin, wo ich alle mögliche Aufmerksamkeit nöthig hatte,      
  um weder auf der einen Seite der Wahrheit etwas zu vergeben, noch      
  auf der andern meine Gesinnungen zu entdecken und mir zu schaden.      
           
  Unsern neuen Catechismus wird Ihnen Herr de la Garde geschickt      
  haben; über den Wisch selbst keine Anmerkung. Im Consistorio hat      
  es mächtigen Streit gegeben; als Wöllner die Sache vorgetragen und      
  die Cabinetsordre des Königs, die ich in Abschrift gesehen habe und      
  die ziemlich hart war, vorgelegt hatte, so mußte Zöllner als jüngster      
  Rath zuerst votiren. Er sprach mit vieler Wärme dagegen, und alle      
  geistliche und weltliche Räthe, den Präsident Hagen und Silberschlag      
  ausgenommen, traten ihm bei; vorzüglich ereiferten sich Teller und      
  Dietrich; der letzte sagte mit thränenden Augen, daß er wünsche nie den      
  Catechismus geschrieben zu haben, der dem neuen zum Grunde gelegt      
  ist, und daß er nie einwilligen werde. Wöllner sagte, daß man schon      
  Mittel finden würde, sich den Beitritt zu verschaffen; darauf so sagten      
  viele von den Räthen, sie würden sich eher kassiren laßen, als beitreten      
  und Dietrich (ein alter, schwächlicher Greis) stand auf und sagte: Ich      
  habe nur noch wenige Iahre zu leben, und also mache man was man      
  will; aber so lange ich noch ins Consistorium kommen darf, werde ich      
  nie einwilligen. Darauf setzte das Consistorium eine Protestation an      
  den König auf, die alle bis auf Hagen und Silberschlag unterschrieben;      
  der letztere hing vielmehr dem Circulare eine 8 Bogen lange Vertheidigung      
           
  des Catechismus (der sein Machwerk ist) an. Ietzt sagt man      
  nun einstimmig, der König sei bewogen worden, die Cabinetsordre      
  zurückzunehmen und Wöllner habe die ganze Auflage des Catechismus      
  an sich gekauft; und einer meiner Freunde der nach der Verlagshandlung      
  der Realschule schickte um sich einen Catechismus holen zu laßen,      
  hat wirklich keinen erhalten können.      
           
  Neuigkeiten, die den Hof betreffen, sind wenig. Die Königin ist      
  krank, man weiß selbst nicht recht, woran, und da sie stark ist, ist      
  man ihretwegen besorgt. Der König lebt a son aise, er ist, wie alle      
  die ihn kennen, sagen, ein gutmüthiger Fürst, es kömmt nur auf die      
  an, die ihn leiten. Er bemüht sich jetzt um die Gunst einer gewissen      
  Gräfin von Dehnhof, einer Hofdame bei der regierenden Königin; hat      
  aber bis jetzt noch nicht reussirt. Die Gräfin ist unermeslich reich      
  und ihr also von der Seite nicht anzukommen. Vielleicht warnt sie      
  das bedenkliche Schicksal der verstorbenen Gräfin Ingenheim. - Graf      
  Brühl, der alles gilt, soll ein Mann von sehr gutem Herzen aber ganz      
  gewöhnlichem Kopfe sein; ich kenne ihn nicht. - Man spricht hier      
  freier, als man glauben sollte, und es wird in mehreren Köpfen licht[er]      
  als die wohl selbst glauben mögen, die Aufklärung hindern wollen.      
  Seitdem der Kaiser todt ist, hört man hier nichts mehr von Kriegszurüstungen,      
  und selbst die beiden ältesten Prinzen von Preußen, die      
  mit zu Felde ziehen wollten, laßen ihre Feldequipage abbestellen.      
           
  An Ihrer Critik der Urtheilskraft wird emsig gedruckt; nur bin      
  ich schon einigemal bei der Correktur in Verlegenheit gewesen; es sind      
  nämlich Stellen im Manuscript, die offenbare den Sinn entstellende      
  Schreibfehler enthalten, und wo ich mich genöthigt gesehen habe zu      
  ändern. Da ich jetzt eben den Bogen M vor mir liegen habe, so will      
  ich nur zum Beispiel die auszeichnen, die in demselben enthalten sind.      
  Seite 181 Zeile 14 von unten steht statt mit dem der, weil er etc.      
  im Manuscript mit dem der welcher, ferner Seite 183 Zeile 13      
  und 14 von oben statt nicht der Nachmachung, sondern der Nachahmung,      
  steht im Manuscript nicht der Nachahmung, sondern      
  der Nachahmung, Seite 185 Zeile 4 von unten, steht im Manuscript      
  zu. Ferner hat mir ein Titel Schwierigkeiten gemacht, der nicht mit      
  dem vom HE. Professor geschickten Zettel stimmen wollte. Es war      
  nämlich im Manuscript und auf dem Zettel      
           
           
  Erster Abschnitt      
  Analytik der ästhetischen Urtheilskraft      
  Erstes Buch      
  Analytik des Schönen      
  Zweites Buch      
  Analytik des Erhabenen      
           
  Nun kam im Manuscript Dritter Abschnitt der Analytik der      
  ästhetischen Urtheilskraft. Deduction der ästhetischen Urtheile; im      
  Zettel fehlte dieser Titel ganz. Dis paßte also gar nicht, ich habe es      
  so abgeändert: Drittes Buch Deduction der ästhetischen Urtheile.      
           
  Durch diese Fehler im Manuscript, und dadurch, daß ich bei der      
  Correktur vom 2ten bis 6ten Bogen krank war, und also ein anderer,      
  der dem Manuscripte treulich folgte, die Correktur ubernahm, ist es      
  auch zu meinem größten Aerger gekommen, daß im Bogen B. und noch      
  in einem andren, 2 den Sinn entstellende Fehler stehen geblieben      
  sind, die ich aber als Errata hinten anhängen werde.      
           
  Wie gern fragte ich Sie noch in Ansehung einiger Schwierigkeiten      
  um Rath, aber ich bin selbst durch dis wenige Schreiben so an      
  Kräften erschöpft, das ich anhalten muß, und de la Garde wartet auf      
  diesen Brief. Doch ganz kurz muß ich noch etwas berühren. Ich      
  muß in meiner Schrift von den Criterien eines wahren Moralprinzips      
  reden, sie sind Allgemeinheit und Nothwendigkeit. Ich habe einen      
  doppelten Beweis zu führen gesucht. Der eine gründet sich auf die      
  beiden Sätze, die selbst Hume als Grundsätze darstellt: Tugend ist      
  das, was von allen vernünftigen Wesen (Hume sagt Menschen) mit      
  Beifall begleitet wird, Laster was der Gegenstand eines allgemeinen      
  Tadels ist. - Der zweite beruht auf den negativen Begrif der Freiheit      
  Ieder, der Moralität statuirt, muß diesen negativen Begrif zugeben,      
  und der Theoretiker sichert die Möglichkeit desselben. Ich bin      
  nur besorgt, daß mir Kenner Ihres Systems beim letzten Beweis      
  einwenden werden, daß ich einen Cirkel begangen habe, weil man die      
  Freiheit erst aus dem Moralgesetze erkenne. Ich glaube aber diesen      
  Einwurf dadurch heben zu können, daß ich sage, dadurch daß wir annehmen      
  oder überzeugt sind, es giebt Moralgesetze, indem wir sehen,      
  daß uns unsere Vernunft gebietet, schließen wir auf Freiheit im negativen      
  Verstande, und sobald diese nun als datum betrachtet wird, so      
  kann man daraus die Beschaffenheit des ächten Grundsatzes der Moral      
           
  herleiten. Doch muß ich gestehen, daß mir dis selbst noch nicht satisfacirt;      
  ich bin also entschlossen, wenn Sie es nicht billigen sollten,      
  diesen zweiten Beweis auszustreichen, ob er gleich in der ersten Ausgabe      
  vorkommt. Dürfte ich Sie wohl ersuchen, mir diese Frage bald      
  zu beantworten, da das Buch noch zur Ostermesse erscheinen soll?      
           
  Empfehlen Sie mich dem würdigen HE. Prof. Krause, und machen      
  Sie d. HE. Iachmann mein Compliment. - Ich wünsche nichts mehr,      
  als daß es Ihnen nie an Gesundheit und Heiterkeit fehlen möge, und      
  daß Sie nie den vergessen, der gewiß ewig sein wird      
           
    Ihr      
    Sie über alles schätzender Verehrer      
  Berlin den 3ten März 1790. I. G. C. Kiesewetter.      
           
           
           
     

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