Kant: Briefwechsel, Brief 370, Von Salomon Maimon.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Salomon Maimon.      
           
  Iuli 1789.      
           
  Verehrungswürdiger Mann!      
  Wenn ich es gewagt habe, Ihnen einige Bogen zur Beurtheilung      
  zuzuschiken, die Untersuchungen über Gegenstände enthalten, die Sie      
  in Ihren unsterblichen Werken abgehandelt haben; so geschah es      
  keinesweges aus einer falschen Besorgniß, als würde ich Ihnen zuwiederhandeln,      
  wenn ich diese Untersuchungen der Welt öffentlich vorlegte,      
  ohne sie zuvor Ihrem Urtheil unterworfen zu haben, selbst      
  alsdenn nicht, wenn sie Punkte enthielten in denen ich meine Denkungsart      
  der Ihrigen nicht ganz anpaßen konnte. Ich bin mir bewust,      
  daß nichts als Liebe zur Wahrheit mich zu Untersuchungen dieser      
  Art anspornet, u. weiß, daß diese den großen Mann zu keiner Zeit      
  und unter keiner Gestalt beleidigen kann. Bloße Vorsicht und gerechte      
  Schüchternheit war es, die mich Ihr Urtheil über meine Gedanken      
  vor ihrer öffentlichen Bekanntmachung hat erbitten laßen, und      
  ich glaubte so meiner Schrift den größren Theil ihres Zwekes sichren      
  zu müßen, damit sie denn ihr ferneres Schiksal ruhig abwarte. Indeßen      
  hat Ihre äußerst gütige Zuschrift an mich sowohl, als die mir      
  durch HE D: Herz mitgetheilten Anmerkungen, alles übertroffen, was      
  ich mir je schmeichlen durfte. Daß ein Kant einige Augenblike seiner      
  der Welt so wichtigen Zeit auf die Versuche eines nach Wahrheit      
  forschenden, der sich bestrebt die Ideen des großen Mannes den      
  Seinigen anzupaßen anwendet, daß er sie seines Beyfalls nicht ganz      
  unwürdig findet, u. ihrem Verfaßer sogar das Zeugnis giebt, in den      
  Sinn des großen Mannes eingedrungen, ihn verstanden zu haben, u.      
  daß er endlich sich noch der Mühe unterziehet, ihn durch Anmerkungen      
  u. Lehren zu unterweisen; alles dis, ich wiederhole es, hat auch meine      
  gespannteste Hoffnung übertroffen. Ich fühle mich nun mit neuen      
           
  Kräften gestärkt, der Wahrheit nachzuforschen, nachdem ich die Versichrung      
  des großen Mannes für mich habe, daß meine erste Bestrebungen      
  nicht ganz fruchtlos gewesen.      
           
  Innliegende wenige Zeilen sollen die Sünde deren ich mich gegen      
  die Welt schuldig gemacht habe, indem ich sie eines Theils Ihrer Zeit      
  beraubt habe keinesweges vergrößren. Sie enthalten einige Gedanken      
  über die mir durch HE D: Herz mitgetheilte Anmerkungen, u. ich      
  wage nichts für sie zu bitten, als daß Sie dieselben anzusehen würdigen,      
  wenn einmal ein Augenblik sich findet, den Ihre unermüdete Thätigkeit,      
  mit keiner wichtigern Beschäfftigung ausfüllen will.      
           
    Ihr ergebner Diener und Schüler      
    S: Majmon.      
  Berlin den July 1789.        
           
           
           
     

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