Kant: Briefwechsel, Brief 367, Von Ernst Ferdinand Klein. |
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| Von Ernst Ferdinand Klein. | |||||||
| 15. Iuni 1789. | |||||||
| Verehrungswürdiger Freund | |||||||
| Erlauben Sie mir, mich dadurch zu ehren, daß ich mir die Freyheit | |||||||
| nehme, Sie mit diesen Worten anzureden. Der seelige Mendelssohn war | |||||||
| mein Freund. Aehnliche Gesinnungen und Meinungen werden, hoffe | |||||||
| ich, das Band einer Freundschaft knüpfen, die nicht wenig zum Glück | |||||||
| meines Lebens beytragen wird, wenn Sie mir vergönnen, Ihnen wenigstens | |||||||
| schriftlich die Hochachtung zu bezeugen, die ich, wenn es Zeit | |||||||
| und Umstände erlaubten, Ihnen so gern mündlich und persönlich zu | |||||||
| erkennen gegeben hätte. | |||||||
| Principibus placuisse viris non ultima laus est . Ich freue mich | |||||||
| also nicht wenig über den Beyfall, womit Sie mich beehren, und | |||||||
| danke Ihnen für Ihre gütigen Erinnerungen. | |||||||
| Meine Absicht war nicht, die Moral mit der Glückseeligkeitslehre | |||||||
| zu vermischen; aber der Plan meiner Schrift war, aus Garvens eignen | |||||||
| Grundsätzen gegen ihn zu argumentiren, und ihn zuletzt auf die ächte | |||||||
| Theorie der praktischen Philosophie zuleiten. | |||||||
| Die von Ihnen S. 98 bemerkte Stelle konnte ganz wegbleiben. | |||||||
| Sie sollte nur dazu dienen, den Streit von einer Seite abzuziehen, | |||||||
| wo auf keiner Seite ein Vortheil erfochten werden kann. Die Moral | |||||||
| ist keine Lotterie, wobey man gewisses Vergnügen gegen Hoffnung ungewissen | |||||||
| Gewinnes aufopfern müßte. | |||||||
| Da die Richtigkeit Ihres Moral= Systems gleich bey dem ersten | |||||||
| Anblick so in die Augen springt, weil es dem moralischen Gefühle und | |||||||
| der biblischen Sittenlehre so angemessen ist, so kann ich mich nicht genug | |||||||
| wundern, daß es den allgemeinen Beyfall, den man erwarten | |||||||
| sollte, noch nicht erhalten hat. | |||||||
| Nach Ihrem System ist die Regel schicklich: | |||||||
| Liebe das Ideal alles Guten über alles, und deinen Nebenmenschen | |||||||
| wie dich selbst | |||||||
| Aber die Glückseeligkeitslehrer können nicht anders sagen, als: | |||||||
| Liebe dich selbst über alles und Gott und deine Nebenmenschen | |||||||
| so weit, als sie die Ehre haben, dir zu dienen. | |||||||
| Es freuet mich außerordentlich, daß mein Grundsatz des Naturrechts | |||||||
| auch der Ihrige ist. Daß wir auf verschiedenen Wegen zu demselben | |||||||
| gelangt sind, zeugt von seiner Richtigkeit | |||||||
| Und nun erlauben Sie mir noch eine Frage. Werden Sie in | |||||||
| Ihrem nächsten Werke über die praktische Philosophie sich auf die | |||||||
| Frage einlaßen: Welche Grenzen der Willkühr des Gesetzgebers (die | |||||||
| Regeln der Klugheit abgerechnet) gesetzt sind? Dieß ist ein Thema, | |||||||
| worüber ich längst nachgedacht habe, welches ich aber, ehe ich es dem | |||||||
| Publico ausführlich vorlege, von Ihnen behandelt sehen möchte. | |||||||
| Auch darüber wünsche ich Ihre Belehrung: ob es für mich zuträglich | |||||||
| seyn möchte, das ausführliche Studium Ihres Systems, welches | |||||||
| diesen Sommer erfolgen soll, mit Herrn Iacobs Schriften oder mit | |||||||
| Ihrer Kritik etc. zu eröffnen? Hierbey muß ich jedoch bemerken, daß es | |||||||
| mir nicht so wohl an Liebe zum strengen wissenschaftlichen Vortrage, | |||||||
| und der dazu erforderlichen Geduld, als vielmehr an Zeit mangle, und | |||||||
| ich also auch die Zeit, wo meine Kräfte schon durch andre Arbeiten | |||||||
| erschöpft sind, zu Hülfe nehmen müße. | |||||||
| H. G[arve] klagt in seiner Antwort auf mein gedruktes Schreiben sehr | |||||||
| über Kraftlosigkeit, und es ist wenigstens so bald noch nicht zu erwarten, | |||||||
| daß er sich auf eine Prüfung meiner Grundsätze einlassen | |||||||
| werde. Was er in seinem Briefe so hinwirft, erkennt er selbst für | |||||||
| flüchtige Betrachtungen, wodurch die Sache nicht abgethan werde. Gott | |||||||
| gebe ihm Kräfte und erhalte die Ihrigen; mich aber beglücke er ferner | |||||||
| mit der Freundschaft solcher Männer, zu denen man mit Wahrheit | |||||||
| sagen kann: Ich bin mit vorzüglicher Hochachtung | |||||||
| Ihr | |||||||
| Berlin den 15 Iunius | ganz ergebner Freund und | ||||||
| 1789. | Verehrer | ||||||
| Klein | |||||||
| [ abgedruckt in : AA XI, Seite 063 ] [ Brief 366a ] [ Brief 367a ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |
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