Kant: Briefwechsel, Brief 364, Von Gotthard Ludwig Kosegarten. (Zueignung) |
|||||||
|
|
|
|
||||
Von Gotthard Ludwig Kosegarten. | |||||||
(Zueignung) | |||||||
4. Iuni 1789. | |||||||
Emmanuel Kant. | |||||||
-- -- -- δοσις ολιγη τε φιλη τε | |||||||
Homer. | |||||||
Daß ich den Namen eines großen Mannes diesem Büchlein vorsetze, | |||||||
geschiehet keinesweges, um demselbigen ein Ansehn zu geben, auf | |||||||
das es, vermöge seines eignen Gehalts, etwa nicht rechnen dürfte; viel weniger, | |||||||
um von mir selbst die Meinung zu erwecken, als hätt' ich den | |||||||
tiefsinnigsten Denker unsrer und vielleicht aller Zeiten gar ergründet; | |||||||
eben so wenig geschieht es aus irgend einem andern Beweggrunde, den | |||||||
die Warumfrager und Motivenkünstler mir etwa unterschieben möchten; | |||||||
sondern es geschieht lediglich, um einem Manne meine Dankbarkeit zu | |||||||
bezeugen, für den ich eine sehr lebhafte Dankbarkeit fühle; einem Manne, | |||||||
dessen Schriften ich hundert mühselige, aber auch eben so viel wollustreiche | |||||||
uud belohnende Stunden verdanke, dem ich die Schärfung der | |||||||
edelsten und göttlichsten meiner Geisteskräfte hauptsächlich anrechne, | |||||||
der den Hader meiner Vernunft mit sich selber schlichtete, den Wirbeln | |||||||
trügerischer Sophismen mich entrettete, und über die wichtigsten Angelegenheiten | |||||||
menschlichen Nachdenkens mich endlich beruhigte; einem | |||||||
Manne, der das Gefühl, auf welches ich, nach Verzichtleistung auf alle | |||||||
metaphysische Einsicht meine Freyheit, meine Fortdauer und meine | |||||||
steigende Vervollkommnung allein gründete, zum sichern praktischen | |||||||
Glauben bestimmte und veredelte, mein moralisches Selbst mich recht | |||||||
würdigen, und dem Idol des warhaftig aufgeklärten und rechtschaffnen | |||||||
Menschen, Pflicht genannt, mich einzig huldigen lehrte; mit einem | |||||||
Wort, einem Manne, der in seinen Untersuchungen unsres praktischen | |||||||
Vernunftvermögens eben so liebenswürdig, einfältig und menschlichschön | |||||||
erscheint, als er in der Analyse aller Spekulation anfangs furchtbar, | |||||||
abschreckend und grausend erscheinen mag.*) | |||||||
Ia, theuerster Kant, noch fehlt viel daran, daß ich Sie ganz zu | |||||||
fassen, zu durchdringen, folglich mit ganzem uneingeschränkten Beyfalle | |||||||
zu umfangen, mich rühmen dürfte. Die Deduction der reinen dynamischen | |||||||
Grundsätze hat noch immer einige vielleicht nur subjective | |||||||
Dunkelheit für mich. Das transscendentale Ich ist ein mir noch unergründeter | |||||||
Abgrund. Der Typus, vermöge dessen erscheinende Handlungen | |||||||
unter das ganz heterogene moralische Gesetz subsumirt werden sollen, | |||||||
ist mir unbegreiflich. Der Gedanke, daß unser edelstes Wissen, selbst | |||||||
reine Naturwissenschaft, selbst reine Mathese, nur aus unsern Anschauungs | |||||||
und Denkformen möglich, folglich höhern Wesen vermuthlich Trug und | |||||||
Täuschung sind, empört und bekümmert mich. Aber bey weitem der | |||||||
wichtigere Theil Ihrer Untersuchungen ist in mir zur Ueberzeugung | |||||||
gereift. Ihre transscendentale Aesthetik scheint mir auf Felsen gegründet. | |||||||
Ihre Trennung der synthetischen und analytischen Urtheile ist eine | |||||||
Kerze auf einem Berge in einer stockfinstern Gegend. Ihre Enthüllung | |||||||
der Amphibolie unsrer Reflexionsbegriffe, und aller davon abhängenden | |||||||
Paralogismen, Antinomieen, u.s.w. verbreiten eine Helle über das | |||||||
Erkenntnißvermögen, die man nach den Verdunkelungen von Iahrtausenden | |||||||
nicht mehr zu hoffen wagte. Ihr zurückführen aller ächten | |||||||
Moral auf die Selbstgesetzgebung unsers Willens, die unerschütterliche | |||||||
Gründung unsrer Freyheit, (ein Problem, darüber ich schon den großen | |||||||
Lehrer, den Tod zu erwarten, bey mir abgeschlossen hatte) auf jenes | |||||||
unläugbare, practische Factum, die Folgerungen meiner Fortdauer, eines | |||||||
höchsten abgeleiteten und eines höchsten ursprünglichen Gutes aus eben | |||||||
diesem moralischen Gesetz in mir, haben eine Ruhe, eine Sicherheit in | |||||||
mir hervorgebracht, dafür Ihnen mein unsterblicher Dank gebührte, | |||||||
falls auch jene noch übrige Dunkelheiten sich nie vor meinem Blick | |||||||
zerstreuen sollten. | |||||||
Und dieser Dank, theurer Mann, brannte viel zu heiß auf meinem | |||||||
Herzen, als daß ich nicht seiner mich auf einige Art zu entbürden hätte | |||||||
suchen sollen. Besser hätt' ich freilich wohl gethan, wenn ich es bis | |||||||
zu etwa einer spätern, reifern, durch den Sonnenschein der immer mehr | |||||||
sich mir entwölkenden Wahrheit gezeitigtern Schrift aufgespart hätte. | |||||||
Allein, das Leben ist kurz. Sie werden alt. Mir verspricht das | |||||||
Erliegen meiner physischen unter meiner intellectuellen Kraft keine lange | |||||||
Erdenperiode. Und ich wollte Ihnen doch gerne noch in dieser Welt | |||||||
sagen, wie sehr ich Sie achte und liebe! | |||||||
Geschrieben zu Wolgast, am vierten Iunius 1789. | |||||||
Ludwig Theobul Kosegarten. | |||||||
*) Gegenwärtig, da die Kritik auch der praktischen Vernunft erschienen ist, wird der vortrefliche Herder, (der sich sehr darüber ärgern kann, daß man über Gott streitet, - und siehe, gerade die Vernunftkritik macht allem Streite über ihn auf ewig ein Ende) seine ganz unnöthigen Ereifrungen wider die Kantische Philo |
|||||||
[ abgedruckt in : AA XI, Seite 056 ] [ Brief 363 ] [ Brief 365 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |