Kant: Briefwechsel, Brief 17, Von Iohann Georg Hamann.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Iohann Georg Hamann.      
           
  Ende Dec. 1759.      
           
  GeEhrter Freund,      
           
  Dieser Name ist nicht ein leeres Wort für mich; sondern eine      
  Qvelle von Pflichten und Entzückungen, die sich auf einander beziehen.      
  Aus diesem Gesichtspunct werden Sie Beylage beurtheilen. Es gehört      
  nicht immer ein Scheffel Saltz zu dem Bündniße, das man Freundschaft      
  nennt. Ich schmäuchele mir also, daß ich mit dem Handvoll abkommen      
  werde, womit ich gegenwärtigen Brief habe würzen müßen.      
           
  Ihr Stillschweigen über gewiße Dinge, wo die Redlichkeit einem      
  Stummen die Zunge lösen würde, ist eine Beleidigung für mich, die      
  ich eben so wenig erklären kann, oder so schlecht erklären muß, als Sie      
  meine auffahrende Hitze.      
           
  Ich habe Lust an dem Werke zu arbeiten, davon die Rede unter      
  uns ist. Für einen einzigen ist es zu schwer, und zwey sind beßer      
  als drey. Wir möchten auch vielleicht von einigem Geschicke dazu      
  seyn, und von einem Zuschnitte, der zusammen paßete. Wir müßen      
  aber unsere Schwächen und Blößen so genau kennen lernen, da      
  keine Eyfersucht noch Misverständnis unter uns möglich ist. Auf      
  Schwächen und Blößen gründet sich die Liebe, und auf diese die Fruchtbarkeit.      
  Sie müßen mich daher mit eben dem Nachdruck zurückstoßen,      
  womit ich Sie angreife; und mit eben der Gewalt sich meinen Vorurtheilen      
  wiedersetzen, womit ich die Ihrigen angreife: oder ,Ihre Liebe      
  zur Wahrheit und Tugend werden in meinen Augen so verächtlich als      
  Bulerkünste aussehen.      
           
  Einigkeit gehört also zu unserm Entwurf. Die darf nicht in      
  Ideen seyn, und kann darinn nicht gesucht noch erhalten werden, sondern      
  in der Kraft und dem Geist, dem selbst Ideen unterworfen sind; wie      
  die Bilder des rechten und linken Auges durch die Einheit des Gesichtsnerven      
  zusammenflüßen.      
           
  Ich wünschte daher, daß Sie mich über meine 2 Briefe von      
  dieser Materie zur Rede gesetzt hätten. Es ist Ihnen aber nichts      
  daran gelegen, mich zu verstehen, oder nicht zu verstehen; wenn Sie      
  mich nur so ungefehr erklären können, daß Sie dabey nicht zu Schanden      
  werden, noch ich nicht alle gute Meynung verliere. Das heist nicht      
  philosophisch, nicht aufrichtig, nicht freundschaftlich gehandelt.      
           
           
  Meine Anerbietung war die Stelle des Kindes zu vertreten.      
  Sie sollten mich daher ausfragen: wie weit ich gekommen? wie und      
  was ich wüste? und Ihr Gebäude darnach einrichten? Sie setzen      
  aber schon zum voraus, daß das Kindereyen sind, was ich gelernt.      
  Dies ist gegen alle Menschenliebe eines Lehrers, der sich auch den      
  schlechtesten Grund bey seinem Schüler gefallen läßt, und ihn durch      
  das, was er schon weiß, und wodurch er ihn überführt, daß er es      
  schon weiß, aufmuntert mehr und weiter und beßer zu lernen. Sapienti      
  sat. Wißen Sie jetzt, warum die Iesuiten so gute Schulmeister und      
  feine Staatsleute sind?      
           
  (Beilage.)      
  Soll ich nicht brennen, wenn jemand an mir geärgert wird?      
  Und worann dann? An meinen Stoltz. Ich sage Ihnen, Sie müßen      
  diesen Stoltz fühlen, oder wenigstens nachahmen, ja übertreffen können;      
  oder auch meine Demuth zum Muster wählen, und die Lust der Autorschaft      
  verleugnen. Oder beweisen Sie mir, daß Ihre Eitelkeit beßer      
  ist als der Stoltz, der Sie ärgert, und die Demuth, die Sie verachten.      
           
  Es ist ein Zug des Stoltzes an Cäsar, meines Wißens, daß er      
  sich nicht eher zufrieden gab, biß er alles gethan hatte, und nichts      
  übrig blieb. Wo andere zu schwach sind, Hinderniße zu machen, wirft      
  er sich selbst Alpen im Wege, um seine Gedult, seinen Muth, seine      
  Größe zu zeigen. Ehre ist ihm lieber als Leben. Ein kluger Geist      
  denkt nicht so, und handelt ganz anders; viel weniger ein weiser Mann.      
           
  Wenn Sie sich schämen, oder vielleicht unvermögend sind      
  stoltz zu seyn: so laßen Sie Ihre Feder schlafen, wenigstens zu dem      
  Werck, woran ich Antheil nehmen soll. In diesem Fall ist es über      
  Ihren Gesichtskreys, und Ihren Schultern überlegen.      
           
  Fürchten Sie sich nicht für Ihren Stoltz. Er wird genung gedemüthigt      
  werden in der Ausführung des Werkes. Wie würden Sie      
  aber ohne diese Leidenschaft die Mühe und Gefahr Ihres Weges      
  überstehen können?      
           
  Es gehört Stoltz zum beten; es gehört Stoltz zum arbeiten.      
  Ein eitler Mensch kann weder eins noch das andere; oder sein Beten      
  und Arbeiten ist Betrug und Gaukeley. Er schämt sich zu graben      
  und zu betteln; oder er wird ein betender Battologist und polypragmatischer      
  Faulenzer. Alembert und Diderot haben dem Nahmen ihrer      
           
  Nation zur Ehre eine Encyclopedie aufführen wollen; sie haben nichts      
  gethan. Warum ist es ihnen mislungen? und warum ist es ins      
  Stecken gerathen? Beyde Fragen hängen zusammen, und haben eine      
  gemeinschaftl. Auflösung. Die Fehler ihres Plans können uns mehr      
  unterrichten, als die guten Seiten deßelben.      
           
  Wenn wir an einem Ioche ziehen wollen; so müßen wir gleich      
  gesinnt seyn. Es ist also die Frage: ob Sie zu meinem Stoltz sich      
  erheben wollen, oder ob ich mich zu Ihrer Eitelkeit herunterlaßen soll?      
  Ich habe Ihnen schon im Vorbeygehen bewiesen, daß wir Hinderniße      
  finden werden, denen die Eitelkeit zu schwach ist ins Gesicht zu sehen,      
  geschweige zu überwinden.      
           
  Mein Stoltz kommt Ihnen unerträglich vor; ich urtheile von      
  Ihrer Eitelkeit weit gelinder. Ein Axiom ist einer Hypothese vorzuziehen;      
  die letztere aber ist nicht zu verwerfen; man muß sie aber      
  nicht wie einen Grundstein, sondern wie ein Gerüste gebrauchen.      
  Der Geist unsers Buchs soll moralisch seyn; Wenn wir es selbst      
  nicht sind, wie sollen wir denselben unserm Werke und unsern Lesern      
  mittheilen können. Wir werden, als Blinde, Leiter von Blinden zu      
  werden uns aufdringen, ich sage uns aufdringen, ohne Beruf und      
  Noth.      
           
  Die Natur ist ein Buch, ein Brief, eine Fabel (im philosophischen      
  Verstande) oder wie Sie sie nennen wollen. Gesetzt wir kennen alle      
  Buchstaben darinn so gut wie möglich, wir können alle Wörter syllabiren      
  und aussprechen, wir wißen so gar die Sprache in der es geschrieben      
  ist - - Ist das alles schon genung ein Buch zu verstehen, darüber      
  zu urtheilen einen Charakter davon oder einen Auszug zu machen.      
  Es gehört also mehr dazu als Physick um die Natur auszulegen. Physick      
  ist nichts als das Abc. Die Natur ist eine Aequation einer unbekanten      
  Größe; ein hebräisch Wort, das mit bloßen Mitlautern geschrieben      
  wird, zu dem der Verstand die Puncte setzen muß.      
           
  Wir schreiben für eine Nation, wie die französischen Encyclopedisten;      
  aber für ein Volk, das Maler und Dichter fordert.      
           
  Mediocribus esse poetis      
  Non homines, non di, non concessere columnae ;      
           
  Dies ist kein Einfall des Horatz, sondern ein Gesetz der Natur      
  und des guten Geschmacks. Alle Ideen aber stehen in Ihrem Verstande      
  wie die Bilder in Ihrem Auge umgekehrt; Einfälle sehen Sie      
           
  für Wahrheiten, und diese für jene an. Mit dieser umgekehrten      
  Denkungsart werden wir unmöglich zusammen fortkommen können.      
           
  Sie sind stoltz, Ihnen die Wahrheit zu sagen; ich nicht, oder ich muß      
  Ihnen so vorkommen. Mit W[eymann] mögen Sie umgehen, wie Sie      
  wollen; als ein Freund fordere ich eine andere Begegnung. Ihr Stillschweigen      
  in Ansehung seiner ist heimtückischer und verächtlicher, als      
  seine tumme Critick über Ihren Versuch. Sie begegnen mir auf      
  gl[eichen] Fuß; ich werde Sie aber dafür nicht ungestraft laßen.      
           
  Seine Einwürfe zu wiederlegen, ist Ihnen zu schlecht. Ein neuer      
  Beweiß, gegen den alle Einwürfe von selbst wegfallen, macht Ihnen      
  in Ihren Augen mehr Ehre. Sie haben auf meine Einwürfe nichts      
  geantwortet, und denken vielleicht auch auf einen neuen Plan. Der      
  Plan, auf den ich gehe, gehört mir nicht, sondern ist das Eigenthum      
  jedes Kindes, und hat Mose zum Urheber; deßen Ansehen ich beßer      
  im Nothfall vertheidigen will, als mein eigenes.      
           
  Wenn Sie ein Lehrer für Kinder seyn wollen; so müßen Sie ein      
  väterl[ich Herz gegen Sie haben, und dann werden Sie ohne roth zu]      
  werden auf das höltzerne Pferd der Mosaischen Mähre sich zu setzen wißen.      
  Was Ihnen ein holtzern Pferd vorkommt, ist vielleicht ein geflügeltes      
  - Ich sehe leider, daß Philosophen nicht beßer als Kinder sind, und      
  daß man sie eben so in ein Feenland führen muß, um sie klüger zu      
  machen; oder vielmehr aufmerksam zu erhalten.      
           
  Ich sage es Ihnen mit Verdruß, daß Sie meinen ersten Brief      
  nicht verstanden haben; und es muß doch wahr seyn, daß ich schwerer      
  schreibe, als ich es selbst weiß, und Sie mir zugeben wollen. Es      
  geht meinen Briefen nicht allein so, sondern mit dem platonischen      
  Gespräch über die Menschl. Natur kommen Sie auch nicht fort. Sie      
  saugen an Mücken und sch[l]ucken Kameele.      
           
  Steht nicht drin geschrieben und ist es nicht gründlich genung      
  bewiesen, daß keine Unwißenheit uns schadet; sondern bloß diejenige,      
  die wir für Erkenntnis halten. Ich setze noch hinzu, daß keine Unwißenheit      
  uns verdammen kann, als wenn wir Wahrheiten für Irrthümer      
  verwerfen und verabscheuen. Ist es Dir nicht gesagt; wird es denn      
  heißen; ja es ist mir gesagt, ich wollte es aber nicht glauben, oder      
  es kam mir abgeschmackt vor, oder ich hatte meine Lügen lieber.      
           
  Sehen Sie immer meine Parrhesie für den Frevel eines Homeromastyx      
  oder für eine cynische Unverschämtheit an. Sie sind Herr,      
           
  Dingen Nahmen zu geben, wie Sie wollen - - Nicht Ihre Sprache,      
  nicht meine, nicht Ihre Vernunft, nicht meine: hier ist Uhr gegen Uhr.      
  Die Sonne aber geht allein recht; und wenn sie auch nicht recht geht,      
  so ist es doch ihr Mittagsschatten allein, der die Zeit über allen Streit      
  eintheilt.      
           
  Wenn Sie ein gelehrter Eroberer wie Bacchus seyn wollen; so      
  ist es gut, daß Sie einen Silen zu Ihrem Begleiter wählen. Ich      
  liebe nicht den Wein des Weins wegen, sondern weil er mir eine Zunge      
  giebt Ihnen in einem Taumel auf meinem Esel die Wahrheit zu sagen.      
           
  Weil ich Sie hochschätze und liebe, bin ich ihr Zoilus, und Diogen      
  gefiel einem Mann, der gleiche Neigungen mit ihm hatte; so ungl[eich]      
  die Rollen waren, die jeder spielte.      
           
  Wer eine beste Welt vorgiebt, wie Rousseau, und eine individuelle,      
  atomistische und momentanen Vorsehung leugnet; der wiederspricht sich      
  selbst. Giebt es ein Zufall in Kleinigkeiten; so kann die Welt nicht      
  mehr gut seyn, noch bestehen. Flüßen Kleinigkeiten aus ewigen      
  Gesetzen; und wie ein Saecul . aus unendl. Tagen von selbst besteht;      
  so ist es eigentl. die Vorsehung in den kleinsten Theilen, die das      
  Gantze gut macht.      
           
  Ein solches Wesen ist der Urheber und Regierer der Welt. Er      
  gefällt sich selbst in seinem Plan; und ist für unsere Urtheile unbesorgt.      
  Wenn ihm der Pöbel über die Güte der Welt mit klatschenden Händen      
  und scharrenden Füßen Höflichkeiten sagt und Beyfall zujauchzt, wird      
  er wie Phocion beschämt, und frägt den Kreys seiner wenigen Freunde,      
  die um seinen Thron mit bedeckten Augen und Füßen stehen; ob er      
  eine Thorheit gesagt, da er gesprochen: Es werde Licht! weil er sich      
  vom gemeinen Haufen über seine Werke bewundert sieht.      
           
  Nicht der Beyfall des gegenwärtigen Iahrhunderts, das wir sehen,      
  sondern des künftigen, das uns unsichtbar ist, soll uns begeistern.      
  Wir wollen nicht nur unsere Vorgänger beschämen, sondern ein Muster      
  für die Nachwelt werden.      
           
  Wie unser Buch für alle Klaßen der Iugend geschrieben seyn soll;      
  so wollen wir solche Autors zu werden suchen, daß uns unsere Urenkel      
  nicht für kindische Schriftsteller aus den Händen werfen sollen.      
           
  Ein eitles Wesen schafft deswegen, weil es gefallen will; ein      
  stoltzer Gott denkt daran nicht. Wenn es gut ist, mag aussehen wie      
  es will; je weniger es gefällt, desto beßer ist es. Die Schöpfung ist      
           
  also kein Werk der Eitelkeit; sondern der Demuth, der Herunterlaßung.      
  Sechs Worte werden einem großen Genie so sauer, daß er 6 Tage      
  dazu braucht, und den siebenten sich ausruht.      
           
  Ex noto fictum carmen sequar; vt sibi quiuis      
  +l Speret idem; sudet multum, frustraque laboret      
  Ausus idem .      
           
  Ex noto fictum carmen sequar , Wenn Du einen Heidelbergschen      
  Catechismum schreiben willst; so fange nicht mit einem Philosophen      
  vom Herrn Christo an, denn er kennt den Mann nicht. Und wenn      
  Du Deinen Zuhörern einen Beweiß geben willst, daß die Welt gut      
  ist; so weise sie nicht auf das Gantze, denn das übersieht keiner, noch      
  auf Gott, denn das ist ein Wesen, das nur ein Blinder mit starren      
  Augen ansehen kann, und deßen Denkungsart und moralischen Charakter      
  sich nur ein eitler Mensch zu erkennen zutraut. Ein aufrichtiger Sophist      
  sagt, je länger ich dran denke, desto weniger kann ich aus ihm klug werden.      
           
  Ich will meinen Beweiß noch mit einem Dilemma schlüßen, und      
  Sie dadurch zur Freymüthigkeit und Offenherzigkeit gegen mich aufmuntern?      
  Warum sind Sie so zurückhaltend und blöde mit mir? und      
  warum kann ich so dreist mit Ihnen reden? Ich habe entweder mehr      
  Freundschaft für Sie als Sie für mich? oder ich habe mehr Einsicht      
  in unsere Arbeit wie Sie? Sie fürchten sich selbst zu verrathen, und      
  mir die Unlauterkeit Ihrer Absichten, oder den Mangel Ihrer Kräfte      
  zu entblößen? Denken Sie an den Bach, der seinen Schlamm auf dem      
  Grunde jeden zeigt, der in denselben sieht. Ich glaube; darum rede      
  ich. Ueberzeugen können Sie mich nicht; denn ich bin Keiner von Ihren      
  Zuhörern sondern ein Ankläger und Wiedersprecher. Glauben wollen      
  Sie auch nicht. Wenn Sie nur meine Einfälle erklären können; so      
  argwohnen Sie nicht einmal, daß Ihre Erklärungen närrischer und      
  wunderlicher als meine Einfälle sind. Ich will gern Gedult mit      
  Ihnen haben, so lange ich Hofnung haben kann Sie zu gewinnen, und      
  schwach seyn, weil Sie schwach sind. Sie müßen mich fragen und      
  nicht Sich, wenn Sie mich verstehn wollen.      
           
           
           
     

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