Kant: Briefwechsel, Brief 159, Von Hieronymus Gottfried Wielkes.

     
           
 

 

 

 

 

 
  Von Hieronymus Gottfried Wielkes.      
           
  Moscau d 16 Dec 1780.      
           
  HochEdelgebohrner, Hochgelahrter Herr Profeßor,      
  Sehr wehrtgeschatzter Freund.      
           
  Es war eine Zeit, in der ich glaubte, Niemals mehr auf Ihr      
  letztes gütiges Schreiben, antworten zu können. Eine schwere Krankheit,      
  deren Folgen beynahe zehn Monahte angehalten, hat mich des Vergnügens      
  einer Unterhaltung mit Ihnen beraubt; Eines Vergnügens,      
  welches vielleicht das Einzige ist, welches ich noch wünschen darf, wenn      
  ich anders deßen, was man das Geräusch der Welt nent, satt bin.      
  Ich darf Ihnen jetzt nicht mehr sagen, warum ich dieses Iahr meine      
  Rückreise nach meinem Vaterlande nicht angetreten habe. Ich war      
  ganz fertig dazu als der Todt auklopfte. Ich habe ihn überwunden      
  und eben dadurch die Bande die mich an diese Famielie binden noch      
  fester zugezogen. Wie kan ich einen Mann verlaßen, der mir sagt,      
  daß ich ihm noch nöhtig bin, und dem ich, nächst der Vorsehung ein      
  neues Leben schuldig bin? Also noch ein Iahr, mein wehrtester Herr      
  Profeßor, und denn hoffe ich in Ruhe in Ihrer Geselschaft, die mir      
  so unterrichtend wäre, die letzten Tage meines Lebens zu sehen. Das      
  ist das wornach ich strebe; alle übrige Leidenschaften sind erschlaft.      
  Hätte ich gedacht daß ich ihrer so früh loß seyn solte? - Das ist      
  mein Schicksal: aber ich klage nicht darüber.      
           
  Mögen Sie, mein theurester Freund! dieses bevorstehende neue      
  Iahr mit lauter Freude anfangen und durchleben! Das wünscht Ihr      
  dankbahrer Schüler, der seinen ganzen Wehrt aus Ihrem Umgange      
  geschöpft hat. Auf diesen Fuß bitte ich Sie um Ihre Liebe und      
  Andenken. Ich bin mit der äußersten Hochachtung      
           
    Ew. HochEdelgebohrnen      
    ganz gehorsamster Diener      
    H G Wielkes      
           
           
           
     

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