Kant: Briefwechsel, Brief 154, Von Hieronymus Gottfried Wielkes. |
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Von Hieronymus Gottfried Wielkes. | |||||||
15. Nov. 1779. | |||||||
HochEdelgebohrner | |||||||
Hochgelahrter Herr Profeßor | |||||||
Sehr gütiger Freund | |||||||
Sie werden mich wieder einer Nachläßigkeit, ich will nicht das | |||||||
schimpfliche Wort Faulheit gebrauchen, beschuldigen; denn Ihren gütigen | |||||||
Brief vom 21 ten August habe ich schon lange erhalten. Urtheilen Sie gelinder | |||||||
von mir; ich verdiene es in der That. Ich habe an einer schweren | |||||||
Kranckheit darnieder gelegen. Heute ist der dritte Tag daß ich seit dem | |||||||
Monath Sept. aus meiner Stube komme. Gute Aerzte und die außerordentliche | |||||||
Vorsorge der ganzen Famielie meines Fürsten, hat mich | |||||||
diesmal dem Grabe entrißen. Auch davor danke ich der Vorsehung; | |||||||
aber ich würde ihr noch dankbahrer seyn, wenn sie mich dem Schoos | |||||||
der Freunde, die mehr Meinesgleichen sind, überlieferte. Gott behüte | |||||||
daß ich klagen solte! Vater, Bruder und Schwester können mir nicht | |||||||
mit größerer Zuneigung begegnen als man mir hier in diesem Hause | |||||||
erzeigt. Aber, gütiger Freund! die große Welt hat am Ende in der | |||||||
That was ekelhaftes, E[t]was, was zu wenig Nährendes für die empfindvolle | |||||||
Seele darbietet. Der Große ist nicht ehrlich, nicht aufrichtig in | |||||||
seiner Aussage; wäre er es, so gestünde er gewis die Unzufriedenheit | |||||||
über seinen eigenen Stand. Oder vielleicht kent er die Vortheile des | |||||||
Mitleren gar nicht. Und in diesem Fall, hilft ihm nicht einmal seine | |||||||
Unwißenheit: denn sie macht ihn nicht glücklicher. O wie sehne ich | |||||||
mich, theurester Freund, nach Ihrer Umarmung, nach Ihrem Umgange! | |||||||
Beydes muß so gütig, so wohlwollend seyn, als Ihr letzter Brief | |||||||
war. Ich strebe darnach, aber wie soll ich dazu gelangen. Es sind | |||||||
3 Iahre, daß ich jeden Winter habe wollen abreisen von hier. Noch | |||||||
ist nichts draus geworden. Ich kan Ihnen nicht einmal sagen, was | |||||||
dies Iahr draus werden wird. Mein Fürst will gar nicht dran denken, | |||||||
mich von sich zu laßen. So straft uns auch oft der Himmel durch | |||||||
gute Menschen. Indeßen hat sich Ihr guter Rath fest in mein Gemuth | |||||||
geprägt, und ich will arbeiten, daß ich wenigstens einen Anfang zu | |||||||
meiner Rückkehr mache. | |||||||
Herr Prof. Bernoulli hat mir wirklich Ihren Brief zugeschickt; | |||||||
aber ihn selbst habe ich nicht gesehen, und das Letztere bedaure ich. | |||||||
Wenn der Mann seinen Namen verdiente so verlohnt es sich schon der | |||||||
Mühe, seine persönliche Bekantschaft zu haben. Aber außer dem hätte | |||||||
es mir in Berlin eine Person verschaft, die mir dann und wann hätte | |||||||
behülflich seyn können. Hier wäre schon ein Fall. Die Fürstin | |||||||
Bariatinsky, gebohrne Fürstin von Holstein Beck, sucht für ihren jungen | |||||||
Prinzen von etwa 9 bis 11 Iahren, einen geschickten Hofmeister, der | |||||||
eben so gut der französischen als deutschen Sprache gewachsen ist, und | |||||||
sonst die übrige nothwendige Wißenschaften und Kentniße besitzt, | |||||||
so auch nicht ein Neuling im artigen Umgange ist, folglich im Stande, | |||||||
einen jungen Herren von dieser Geburt für die künftige Fälle seines | |||||||
Lebens ganz zu bilden. Sr. Durchlaucht glauben ein solches Subject | |||||||
in Berlin zu finden. Die Bedingungen waren: 500 Ro Gage; Equipage, | |||||||
Bedienung, völligen Unterhalt, außer der Garderobe. - Hätten Sie | |||||||
etwa Kentniße, mein wehrter HErr Profeßor, von einem jungen Menschen | |||||||
der sich für diese Dame schickte? Oder könnten Sie uns aus Berlin | |||||||
einen verschaffen ? Er könnte durch Sie seine Conditionen an mich | |||||||
schicken, würden sie annehmlich und der Mensch durch Sie empfohlen | |||||||
seyn, so solte ihm das erforderliche Reise Geld bald zugeschickt werden. | |||||||
Ich bitte mir eine baldige Antwort auf diesen Artickel aus. | |||||||
Die Prinzen Wolkonsky, die Sie kennen, und die Ihnen so viel | |||||||
Verbindlichkeit haben, laßen sich Ihnen bestens empfehlen. Der älteste | |||||||
ist im Senat und der jüngste Ritmeister bey der Garde zu Pferde. | |||||||
Sparen Sie immer für mich Ihre gute Gesinnungen. Wenn Ergebenheit | |||||||
ein Verdienst ist, so können Sie mir Ihre Freundschaft nicht versagen; | |||||||
denn ich bin mit unveränderlicher Hochachtung | |||||||
Ihr | |||||||
ganz ergebenster Diener und | |||||||
Moscau d. 15ten Nov. | aufrichtiger Wielkes. | ||||||
1779 | |||||||
[ abgedruckt in : AA X, Seite 258 ] [ Brief 153 ] [ Brief 155 ] [ Gesamtverzeichnis des Briefwechsels ] |