Kant: Briefwechsel, Brief 152, An Iohann Iacob Engel.

     
           
 

 

 

 

 

 
  An Iohann Iacob Engel.      
           
  4. Iuli 1779.      
           
  Wohlgebohrner      
  höchstzuehrender Herr Professor      
           
  Es ist mir so angenehm als schmeichelhaft, mit einem Manne in      
  einige Gemeinschaft literärischer Beschäftigungen zu treten, der unter      
  den wenigen, die, bey dem überhandnehmenden Verfall des guten      
           
  Geschmaks, durch ächte Muster der Sprachreinigkeit, der Naivetät und      
  der Laune die Ehre Deutschlands noch zu erhalten suchen, sich so vortheilhaft      
  auszeichnet.      
           
  Meine bisher in der Stille getriebene Arbeiten, von denen Sie      
  mir die Ehre thun, eine so gute Meinung zu äussern, enthalten zwar      
  mancherley, was, wenn ich die Annehmlichkeit der Manier abrechne,      
  nicht unschiklich scheinet, in so gute Gesellschaft, als Ihr Philosoph      
  beysammen hat, aufgenommen zu werden. Allein eine Fortsetzung      
  der Abhandlung von den Menschenracen scheint mir doch, theils      
  in Ansehung meiner Absicht, theils in Absicht auf die Unterhaltung      
  des im vorigen Stück nicht völlig befriedigten wisbegierigen Lesers,      
  vorietzt den Vorzug zu verdienen. Vor langweilige Wiederholungen      
  des von mir und anderen schon gesagten, vor windigte Hypothesen,      
  oder auch eine scholastische Trockenheit dürfen Sie sich nicht fürchten.      
  Der Stof ist reichhaltig und an sich selbst populär und da ich ietzt      
  den Gesichtspunkt, aus welchem man die Varietäten der Menschengattung      
  betrachten muß, so deutlich zu bestimmen im Stande bin,      
  daß dadurch in Kurzem auch in diesem Felde etwas mit Sicherheit      
  wird ausgemacht werden können, so bekommt die Abhandlung hiedurch      
  einige Wichtigkeit. Überdem werden die angehenkte Principien einer      
  moralischen Charakteristik der verschiedenen Racen der Menschengattung      
  den Geschmak derer, die auf das Physische nicht sonderlich merken, zu      
  befriedigen dienen.      
           
  Die Materialien hiezu liegen zwar schon seit einiger Zeit völlig      
  fertig, weil ich durch Zimmermanns Geographische Geschichte      
  des Menschen (der das vorige Stück hierinn beurtheilete) zum      
  weiteren Uberdenken dieses Gegenstandes veranlasset wurde. Gleichwohl      
  muß ich mir zur Einkleidung einige Frist (etwa bis Weynachten) ausbitten;      
  weil ich eine Arbeit nicht unterbrechen darf, die mich so lange      
  an der Ausfertigung aller anderen Producte des Nachdenkens, die sich      
  indessen sehr angehäuft haben, gehindert hat und die ich gegen die      
  Zeit zu vollenden glaube. Alsdenn wird es mir eine angenehme und      
  leichte Beschäftigung seyn, mit demienigen herauszurücken, wovon      
  Sie und andere meiner Freunde eine viel zu vortheilhafte Erwartung      
  haben, welches indessen, da ich eine so lange Zeit über so mancherley      
  Gegenstände gebrütet habe, vor meine übrige Lebenszeit Vorrath gnug      
  enthält. Wenn Sie mein geehrtester Freund wieder das benante      
           
  Thema und den mir ausgebetenen Aufschub nichts einzuwenden haben,      
  so werde Ihr Stillschweigen vor eine Einwilligung in Beydes aufnehmen      
  und ohne Sie mit Antworten zu bemühen mich darauf einrichten.      
  Ich habe die Ehre mit der größesten Hochschätzung zu seyn      
           
  Koenigsberg Ew: Wohlgeb:      
  d. 4ten Jul: ergebenster treuer Diener      
  1779 I Kant      
           
           
           
     

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