Kant: AA XXIII, Vorarbeit zu Über das ... , Seite 085

   
         
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

Verknüpfungen:

 

 

 
  01

LBl G 13 R III 43f. VIII 264f.

   
  02

Erste Seite

   
         
  03 Unter einer Theodicee wird nicht etwa die Abweisung der Einwürfe    
  04 die wieder eine höchste Güte und Weisheit an den in der Welt anzutreffende    
  05 Übel und Laster gemacht werden durch einen Glauben an dieselbe    
  06 welcher sich auf so allgemeine in der Welt angelegte Zwecke und    
  07 zugleich auf das höchst bewundernswürdige unser Selbst über die Natur    
  08 erhebende Sittliche Gesetz in uns gründet verstanden sondern die methodische    
  09 Rechtfertigung in einem Proceß, in welchem die göttliche Welteinrichtung    
  10 u. Regierung gerechtfertigt d. i. durch hinreichende Einsicht    
  11 in die Übereinstimmung des Plans mit der höchsten Weisheit so wie wir    
  12 uns dieselbe denken können aus der der Weltbetrachtung einleuchtet bewiesen    
  13 wird.    
         
  14 Daß nicht etwa ein solcher Proceß an sich vermessen u. frevelhaft    
  15 sey sondern mit aufrichtiger Gesinnung geführt er mag ausfallen wie er    
  16 will besser sey als eine heuchlerische Lobpreisung des unerforschlichen    
  17 Welturhebers wenn gleich innerlich das Herz wiederspricht kan das Beyspiel    
  18 Hiobs beweisen „Wollt ihr Gott schmeicheln, wollt ihr seine Person    
  19 heimlich Ansehen” sagte Hiob zu seinen sich so nennenden Freunden    
  20 welche lieber einem Manne von dem sie nichts Böses wusten sträfliche    
  21 Verbrechen andichteten als daß sie hätten gestehen sollen daß nach ihren    
  22 Begriffen von göttlicher Gerechtigkeit im Weltlaufe das Schicksal dieses    
  23 Mannes ihnen unerklärlich sey: Denn der Weltbeherrscher entscheidet    
  24 am Schlusse doch zum Vortheil Hiobs der die gewissenhafteste Redlichkeit    
  25 zum Princip aller seiner Glaubensaussprüche machte; ein Grundsatz    
  26 von dem man weil er so klar einleuchtet vermuthen sollte er werde allgemein    
  27 seyn der aber wegen eines eingewurtzelten Hanges des Menschen zur    
  28 Unlauterkeit Falschheit die bis zur inneren Lüge geht so gar selten angetroffen    
  29 wird daß es sogar gemeiniglich als ein Mittel die Gunst des höchsten    
  30 Wesens zu erwerben angesehen wird Dinge innerlich ja wohl gar äußerlich    
  31 zu bekennen davon man nicht allein nicht überzeugt ist sondern sogar    
  32 überall nichts versteht und um deswillen auch nicht glauben kan blos weil    
  33 so wie man bey Menschen durch Vorgeben von dem was vermuthlich    
  34 von einem Mächtigen verlangt wird eben das ausrichten kan als ob es    
  35 Warheit wäre bey dem Herzenskündiger dadurch daß man ihm den Hof    
  36 macht Gunst zu erwerben sey.    
         
         
     

[ Seite 083 ] [ Seite 087 ] [ Inhaltsverzeichnis ]