Kant: AA XX, Preisschrift über die ... , Seite 299 |
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01 | nur der Forderung der moralischen Gesetze an uns zu Folge | ||||||
02 | selbst machen und ihnen objective Realität freywillig geben, da wir versichert | ||||||
03 | sind, daß in diesen Ideen kein Widerspruch gefunden werden | ||||||
04 | könne, von der Annahme derselben die Zurückwirkung auf die subjectiven | ||||||
05 | Prinzipien der Moralität und deren Bestärkung, mithin auf das Thun | ||||||
06 | und Lassen selbst, wiederum in der Intention moralisch ist. | ||||||
07 | Aber sollte es nicht auch theoretische Beweise der Wahrheit jener | ||||||
08 | Glaubenslehren geben, von denen sich sagen ließe, daß ihnen zu Folge | ||||||
09 | es wahrscheinlich sey, daß ein Gott sey, daß ein sittliches, seinem Willen | ||||||
10 | gemäßes und der Idee des höchsten Gutes angenessenes Verhältniß | ||||||
11 | in der Welt angetroffen werde, und daß es ein künftiges Leben für jeden | ||||||
12 | Menschen gebe? — Die Antwort ist, der Ausdruck der Wahrscheinlichkeit | ||||||
13 | ist in dieser Anwendung völlig ungereimt. Denn wahrscheinlich (probabile) | ||||||
14 | ist das, was einen Grund des Fürwahrhaltens für sich hat, der grö | ||||||
15 | ist als die Hälfte des zureichenden Grundes, also eine mathematische | ||||||
16 | Bestimmung der Modalität des Fürwahrhaltens, wo Momente derselben | ||||||
17 | als gleichartig angenommen werden müssen, und so eine Annäherung | ||||||
18 | zur Gewißheit möglich ist, dagegen der Grund des mehr oder weniger | ||||||
19 | Scheinbaren (verosimile) auch aus ungleichartigen Gründen bestehen, | ||||||
20 | eben darum aber sein Verhältnis zum zureichenden Grunde gar nicht | ||||||
21 | erkannt werden kann. | ||||||
22 | Nun ist aber das Übersinnliche von dem sinnlich Erkennbaren, | ||||||
23 | selbst der Species nach (toto genere), unterschieden, weil es über alle uns | ||||||
24 | mögliche Erkenntniß hinaus liegt. Also giebt es gar keinen Weg, durch | ||||||
25 | eben dieselbe Fortschritte zu ihm zu gelangen, wodurch wir im Felde | ||||||
26 | des Sinnlichen zur Gewißheit zu kommen hoffen dürfen: also auch keine | ||||||
27 | Annäherung zu dieser, mithin kein Fürwahrhalten, dessen logischer Werth | ||||||
28 | Wahrscheinlichkeit könnte genannt werden. | ||||||
29 | In theoretischer Rücksicht kommen wir der Überzeugung vom | ||||||
30 | Daseyn Gottes, dem Daseyn des höchsten Gutes, und dem Bevorstehen | ||||||
31 | eines künftigen Lebens, durch die stärksten Anstrengungen der Vernunft | ||||||
32 | nicht im mindesten näher, denn in die Natur übersinnlicher Gegenst de | ||||||
33 | giebt es für uns gar keine Einsicht. In praktischer Rücksicht aber machen | ||||||
34 | wir uns diese Gegenstände selbst, so wie wir die Idee derselben dem | ||||||
35 | Endzwecke unsrer reinen Vernunft behülflich zu seyn urtheilen, welcher | ||||||
36 | Endzweck, weil er moralisch nothwendig ist, dann freylich wohl die | ||||||
37 | Täuschung bewirken kann, das, was in subjectiver Beziehung, nämlich | ||||||
38 | für den Gebrauch der Freyheit des Menschen, Realität hat, weil es in | ||||||
39 | Handlungen, die dieser ihrem Gesetze gemäß sind, der Erfahrung dargelegt | ||||||
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