Kant: AA XIX, Erläuterungen zu A. G. Baumgartens ... , Seite 277

     
           
 

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  01 der Glückseeligkeit, obgleich noch andere materiell (wie bey der Erfahrung)      
  02 erforderlich sind.      
           
  03 Die Function der Einheit a priori aller Elemente der Glückseeligkeit      
  04 ist die nothwendige Bedingung der Moglichkeit desselben daß und das      
  05 Wesen derselben. Die Einheit a priori aber ist die freyheit unter allgemeinen      
  06 Gesetzen der Willkühr, d. i. Moralitaet. Das macht die Glückseeligkeit      
  07 als solche moglich und hangt nicht von ihr als dem Zwecke ab      
  08 und ist selbst die ursprüngliche form der Glückseeligkeit, bey welcher man      
  09 der Annehmlichkeiten gar wohl entbehren und dagegen viel Uebel des      
  10 Lebens ohne Verminderung der Zufriedenheit, ia selbst zur Erhebung derselben,      
  11 übernehmen kann.      
           
  12 Seinen Zustand angenehm zu finden, beruht auf dem Glück, aber      
  13 sich über die Annehmlichkeiten dieses Zustandes als Glückseeligkeit zu erfreuen,      
  14 ist dem Werth derselben nicht angemessen; sondern Glückseeligkeit      
  15 muß von einem Grunde a priori, den die Vernunft billigt, herkommen.      
  16 Elend zu seyn, ist nicht die nothwendige Folge von Ubeln des Lebens.      
           
  17 Vor die Sinne kan keine völlige Befriedigung ausgefunden werden,      
  18 nicht einmal läßt sich mit gewisheit und allgemein bestimmen, was den      
  19 Bedürfnissen derselben gemas sey; sie steigen immer in der Forderung      
  20 und sind unzufrieden ohne bestimmen sagen zu können, was ihnen denn      
  21 gnug thue. Noch weniger ist der Besitz dieser Vergnügen wegen der Veranderlichkeit      
  22 des Glücks und der Zufalligkeit gunstiger Umstande und der      
  23 Kürze des Lebens gesichert. Aber die durch die Vernunft belehrte Gesinnung,      
  24 sich aller der Materialien zum Wohlbefinden wohl zu und einstimmig      
  25 zu bedienen, sind a priori gewis, lassen sich vollständig erkennen      
  26 und gehören uns selbst an, so daß selbst der Tod als passiver Zustand      
  27 ihren Werth nicht vermindert.      
           
  28 S. II:      
  29 Es ist wahr, die Tugend hat den Vorzug, daß sie aus dem, was      
  30 Natur darbietet, die größte Glückseeligkeit Wohlfahrt zuwege bringen      
  31 würde. Aber darin besteht nicht ihr hoher Werth, daß sie gleichsam zum      
  32 Mittel dient. Daß wir es selbst sind, die als Urheber sie unangesehen      
  33 der empirischen Bedingungen (welche nur particuläre Lebensregeln geben      
  34 können) hervorbringen, daß sie Selbstzufriedenheit bey sich führe, das      
  35 ist ihr innerer Werth.      
           
     

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