Kant: AA XII, Briefwechsel 1799 , Seite 291 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
01 | sehr traurig aus. Auf einer Universität von mehr als 900 Studenten, | ||||||
02 | kömmt nicht einmahl ein Collegium der Logik zu Stande, geschweige | ||||||
03 | in andern Theilen der Philosophie. Herr Buhle hat von allen seinen | ||||||
04 | Collegien nur die Geschichte der Philosophie zu Stande gebracht, wo | ||||||
05 | er 9 Zuhörer hat und Herr Bouterwek kein Philosophisches Collegium. | ||||||
06 | Ob nun die Herrn hieran selbst Schuld sind, oder ob die gänzliche | ||||||
07 | Verachtung dieser Wissenschaft in den Umständen zu setzen ist, mag ich | ||||||
08 | nicht entscheiden. So viel weiß ich wohl, daß beyde die Philosophie | ||||||
09 | nicht nach ihrem Geschmack vortragen; der eine alles mit Zucker der | ||||||
10 | Aestetik versüßet und ekelhaft macht; der andere noch immer die Alten | ||||||
11 | presset: beyde aber selbst noch nicht wissen, ob sie Protestanten oder | ||||||
12 | Catholicken der critischen Philosophie seyn wollen (: von ihnen selbst | ||||||
13 | beliebte Ausdrücke :); ungeachtet sie mir in allen Sätteln gerecht und | ||||||
14 | nicht bloß Kantianer sondern auch Fichtianer und Gott weiß was nicht | ||||||
15 | noch mehr zu seyn scheinen. | ||||||
16 | Die Lichtenbergische Stelle ist jetzt besetzet mit dem Hofrath Meyer | ||||||
17 | aus Erlangen, einem Sohne des großen Mathematikers Tobias Meyer. | ||||||
18 | Er hat ebenfalls eine sehr gründliche Kenntniß der Mathematik Physik | ||||||
19 | und Chymie; auch einen bessern Vortrag als der seelige Lichtenberg; | ||||||
20 | allein bey weitem nicht den Geschmak und die Geistvolle Manier in | ||||||
21 | der Schreibart. Lichtenberg starb an einer Brustkrankheit die mit | ||||||
22 | Blut=Auswurf verbunden und von Aergerniß entstanden war. Er lag | ||||||
23 | nur 4 Tage krank. Er hinterläßt eine Frau die Anfangs seine Concubine | ||||||
24 | war mit 6 unmündigen Kindern, ohne alles Vermögen Die | ||||||
25 | Witwe erhält jetzt 200 Thlr. Pension solange bis das jüngste Kind | ||||||
26 | welches 2 Iahr alt ist, 18 Iahr alt seyn wird. Daß Lichtenberg so früh | ||||||
27 | starb, daran war er wohl zum Theil selbst Schuld. Er führte bey | ||||||
28 | seiner von Natur schwachen körperlichen Constitution (: denn er war | ||||||
29 | ganz verwachsen :) und bey seiner sitzenden Lebensart ein recht wüstes | ||||||
30 | Leben. Des Morgens stand er spät auf, gleich darauf trank er Kaffee, | ||||||
31 | Spanischbitter und Wein. Zu Mittage ward auch wieder Wein getrunken. | ||||||
32 | Nachmittag wieder Wein und Liquör, um sich immer munter | ||||||
33 | zum Schreiben zu erhalten. Des Abends wurden viel Eyerspeisen gegessen | ||||||
34 | und die halbe Nacht durch gelesen oder geschrieben. Nie verlie | ||||||
35 | er sein Zimmer und genoß die frische Luft. Natürlich war es, | ||||||
36 | daß es so kommen mußte, wie es kam; weil seine Lebensart auf die | ||||||
37 | Länge nicht dauern konnte. | ||||||
[ Seite 290 ] [ Seite 292 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |