Kant: AA XII, Briefwechsel 1798 , Seite 245 |
|||||||
Zeile:
|
Text (Kant):
|
|
|
||||
808. | |||||||
02 | Von Iohann Richardson. | ||||||
03 | Altenburg | ||||||
04 | den 21 Iun. 1798. | ||||||
05 | Sie werden mit dieser Post den ersten Band Ihrer Versuche und | ||||||
06 | Abhandlungen erhalten, worin ich nach meinen besten Kräften mir | ||||||
07 | Mühe gegeben habe, Ihren Sinn auszudrücken, und den Geist Ihrer | ||||||
08 | Werke zu fassen. Ich weiß nicht, ob ich glücklich genug gewesen bin, | ||||||
09 | dasjenige andern deutlich zu machen, was mich nicht nur höchlich interessirt | ||||||
10 | und belehrt, sondern mich auch aufgeklärter, ja, ich sage es | ||||||
11 | aufrichtig, mich zu einem bessern Menschen gemacht hat. | ||||||
12 | Unter dem gemeinen Titel: Versuche, habe ich viel metaphysische | ||||||
13 | Materie versteckt. Durch dieses Mittel hoffe ich meine Landsleute, die | ||||||
14 | noch immer in der Empirie ersoffen sind, zu bewegen, daß sie eine | ||||||
15 | besser gegründete, und nach meinem demüthigen Dafürhalten, die einzig | ||||||
16 | wohl gegründete Philosophie, studieren. Der Übergang von der Empirie | ||||||
17 | zu dem kritischen Idealismus, scheint so schwer zu seyn, (und ich gestehe, | ||||||
18 | es selbst so gefunden zu haben, und daß ich dem Beystande | ||||||
19 | meines würdigen und gelehrten Freundes Prof. Beck viel verdanke) | ||||||
20 | und ich werde daher noch einige Iahre die geringfügigen Kritiken meiner | ||||||
21 | Landsleute mit Geduld ertragen. Selbst in Deutschland wo die | ||||||
22 | Gelehrten den Vortheil haben, Ihre Werke im Original zu lesen, ist | ||||||
23 | Ihr System wenigstens zwölf Iahre hindurch unverständlich geblieben, | ||||||
24 | und was noch schlimmer ist, hat Gelegenheit zu absurden Theorien, | ||||||
25 | und ungeheuern Verirrungen gegeben. Ein Beweis hievon ist Fichte, | ||||||
26 | unter dem ich, verleitet durch den großen Ruf dieses Mannes, die | ||||||
27 | Philosophie studiren wollte, der mir aber in weniger als zehn Tagen | ||||||
28 | seine Philosophie so verekelte, daß ich sein Auditorium nicht mehr besuchte. | ||||||
29 | |||||||
30 | Ich sage Ihnen tausend Dank für die gütige Beantwortung der | ||||||
31 | von mir dem Prof. Iakob vorgelegten Fragen, und für die verbindliche | ||||||
32 | Art, mit der Sie im Briefe an P. Beck meiner gedenken. Doch | ||||||
33 | muß ich mir jetzt von Ihnen eine große Gewogenheit erbitten, nähmlich, | ||||||
34 | einige wenige Zeilen unmittelbar von Ihrer eigenen | ||||||
35 | Hand, und die gütige Erklärung folgender Stellen: | ||||||
36 | In Ihren Beobachtungen über das Gefühl des Schönen | ||||||
[ Seite 244 ] [ Seite 246 ] [ Inhaltsverzeichnis ] |