Kant: AA XII, Briefwechsel 1796 , Seite 095

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Unterhalt; der Buchhändler Viehweg, ein Schwiegersohn vom HErrn      
  02 Rath Campe, giebt ihm freie Wohnung, Holz und Licht, und auch      
  03 den Abendtisch; und wenn die Zeit kommen wird, daß er sein Lehrgeld      
  04 zahlen soll, so werden wir auch dann Rath schaffen. HErrn      
  05 Hahnrieder hatte seine Lebensbeschreibung aufgesetzt und glaubte durch      
  06 den Druck derselben so viel Honorar zu erhalten, daß er sein Lehrgeld      
  07 damit abtragen könnte; allein ich habe ihm gerathen die Schrift      
  08 nicht drucken zu laßen, theils weil ich fürchte, sie möchte, wenigstens      
  09 in ihrer gegenwärtigen Form wenig Beifall erhalten, theils weil die      
  10 Charakteristik der darin vorkommenden Personen, die für diese eben      
  11 nicht vortheilhaft ist, ihm Ungelegenheiten zuziehen könnte. HErrn      
  12 Hahnrieder selbst habe ich in beinahe 14 Tagen nicht gesehen, ich      
  13 glaube aber, daß es ihm wohl geht.      
           
  14 Mit einem andern Manne den Sie kennen, habe ich weniger      
  15 Glück gehabt. Dies ist ein gewißer Rellç, der wie er mir sagte,      
  16 ehedem in Königsberg in der lateinischen Sprache Unterricht ertheilt      
  17 hatte und der wie ein anderer Ulysses nach langem Umherirren endlich      
  18 in den traurigsten Umständen hier ankam. Er wandte sich an      
  19 mich und da er Sie kannte und recht feine Kenntniße in der      
  20 classischen Latinität besaß, so nahm ich mich seiner an, verwandte      
  21 mich für ihn bei einem russischen Kaufmann der mein Zuhörer war      
  22 und entriß ihn so dem äußersten Elende; darauf verschafte ich ihm      
  23 Unterricht in der lateinischen Sprache, so daß er, wo nicht sein reichliches,      
  24 doch sein notdürftiges Auskommen hatte. Mit einem male      
  25 aber hat der alte Mann, ohne daß man die Ursach errathen kann,      
  26 Berlin verlaßen und ist Gott weiß wohin? gegangen. Da er eine      
  27 große Vorliebe für Königsberg bezeigte, so ist er vielleicht dorthin      
  28 gegangen und wenn dis der Fall wäre, so könnten Sie mir wohl      
  29 gütigst Nachricht von ihm ertheilen, denn da ich mich für ihn interessirt      
  30 habe, wünschte ich doch zu wissen, was aus ihm geworden      
  31 ist. Weil er so ganz heimlich weggegangen ist und es ihm doch      
  32 wohl ging, so ist es mir schon eingefallen, ob er nicht etwa durch die      
  33 Polizei weggeschaft sein möchte, denn so etwas trägt sich leider bei      
  34 uns wohl zu, aber ich habe auch nicht den geringsten Schein zur      
  35 Bestätigung dieses Verdachts auffinden können und - überdis war er      
  36 ein zu erklärter Aristokrat, als daß man hätte fürchten können, er      
  37 werde in die Hände der heiligen Hermandad fallen.      
           
           
     

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