Kant: AA XII, Briefwechsel 1795 , Seite 032 |
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01 | Spiel zu lassen; welches um desto mehr mit Recht geschehen kann, da | ||||||
02 | er eine locale Gegenwart, die dem Dinge was bloß Object des | ||||||
03 | inneren Sinnes und so fern nur nach Zeitbedingungen bestimmbar ist, | ||||||
04 | ein Raumesverhältniß beylege, verlanget aber eben damit sich selbst | ||||||
05 | widerspricht, anstatt daß eine virtuelle Gegenwart, welche bloß für | ||||||
06 | den Verstand gehört, eben darum aber auch nicht örtlich ist, einen | ||||||
07 | Begriff abgiebt, der es möglich macht, die vorgelegte Frage (vom | ||||||
08 | sensorium commune ) bloß als physiologische Aufgabe zu behandeln. | ||||||
09 | - Denn wenn gleich die meisten Menschen das Denken im Kopfe zu | ||||||
10 | fühlen glauben, so ist das doch bloß ein Fehler der Subreption, nämlich | ||||||
11 | das Urtheil über die Ursache der Empfindung an einem gewissen | ||||||
12 | Orte (des Gehirns) für die Empfindung der Ursache an diesem Orte | ||||||
13 | zu nehmen, und die Gehirnspuren von den auf dasselbe geschehenen | ||||||
14 | Eindrücken nachher, unter dem Namen der materiellen Ideen (des | ||||||
15 | Cartes), die Gedanken nach Associationsgesetzen begleiten zu lassen: die, | ||||||
16 | ob sie gleich sehr willkürliche Hypothesen sind, doch wenigstens keinen | ||||||
17 | Seelensitz nothwendig machen und die physiologische Aufgabe nicht mit | ||||||
18 | der Metaphysik bemengen. - Wir haben es also nur mit der Materie | ||||||
19 | zu thun, welche die Vereinigung aller Sinnen=Vorstellungen im Gemüth *) | ||||||
20 | möglich macht. - Die einzige aber die sich dazu (als Sensorium | ||||||
21 | commune) qualificirt, ist, nach der durch Ihre tiefe Zergliederungskunde | ||||||
22 | gemachten Entdeckung, in der Gehirnhöhle enthalten, | ||||||
23 | und bloß Wasser: als das unmittelbare Seelenorgan, welches die daselbst | ||||||
24 | sich endigenden Nervenbündel einerseits von einander sondert, | ||||||
25 | damit sich die Empfindungen durch dieselben nicht vermischen, anderseits | ||||||
26 | eine durchgängige Gemeinschaft unter einander bewirkt, damit | ||||||
*) Unter Gemüth versteht man nur das die gegebenen Vorstellungen zusammensetzende und die Einheit der empirischen Apperceptionbewirkende Vermögen (animus), noch nicht die Substanz (anima), nach ihrer von der Materie ganz unterschiedenen Natur, von der man alsdann abstrahirt, wodurch das gewonnen wird, daß wir in Ansehung des denkenden Subjekts nicht in die Metaphysik überschreiten dürfen, als die es mit dem reinen Bewußtseyn und der Einheit desselben a priori in der Zusammensetzung gegebener Vorstellungen (mit dem Verstande) zu thun hat, sondern mit der Einbildungskraft, deren Anschauungen (auch ohne Gegenwart Ihres Gegenstandes), als empirischer Vorstellungen, Eindrücke im Gehirn (eigentlich habitus der Reproduction) correspondierend und zu einem Ganzen der inneren Selbstanschauung gehörend, angenommen werden können. | |||||||
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