Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 242 |
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01 | sie ist für alle bewegliche Dinge vollkommen durchdringlich, um allen | ||||||
02 | Punkten derselben gegenwärtig zu seyn; sie macht von den 4 Lehrsätzen | ||||||
03 | der Mechanik in Ihren metaphysischen Anfangsgründen der | ||||||
04 | Naturwissenschaft S. 108 116. 119. 121 den Hauptgrund aus; ihre | ||||||
05 | Vorstellung macht den mechanischen Begriff von der Quantität der | ||||||
06 | Bewegung möglich; sie thut bey aller unmittelbaren Einwirkung auf | ||||||
07 | jeden Punkt des Beweglichen, das heißt, bey ihrer Durchdringlichkeit, | ||||||
08 | der Quantität der Materie keinen Eintrag; ihre Wirkung wird durch | ||||||
09 | Ursachen ausser ihr und ausser dem bewegten Körper verändert; sie | ||||||
10 | erhält den Körper in seinem Zustande der Ruhe oder der Bewegung | ||||||
11 | (in seinem Bewegungszustande) in derselben Richtung, und mit derselben | ||||||
12 | Geschwindigkeit, wenn er nicht durch eine Ursache ausser ihm | ||||||
13 | und ausser ihr genöthigt wird, diesen Zustand zu verlassen; sie ist es, | ||||||
14 | die in aller Mittheilung der Bewegung Wirkung und Gegenwirkung | ||||||
15 | einander gleich macht. Diese Betrachtungen hatte ich für mich schon | ||||||
16 | so weit vollendet, als mir neulich Lamberts Beyträge zum Gebrauche | ||||||
17 | der Mathematik und deren Anwendung in die Hände kamen, wo ich | ||||||
18 | das unerwartete Vergnügen hatte, einen neuern Philosophen zu finden, | ||||||
19 | dessen Spekulationen über die Trägheit der Körper mit meinen Gedanken | ||||||
20 | so sehr übereinstimmen. Die Hauptstelle darüber findet sich im | ||||||
21 | § 121 der Abhandlung von den Grundlehren des Gleichgewichts und | ||||||
22 | der Bewegung im zweyten Bande des angeführten Werks. Ich will | ||||||
23 | meinen langen Brief nicht mit Abschreibung dieser Stelle weiter ausdehnen, | ||||||
24 | da ich voraussetzen kann, daß Sie Gelegenheit haben, das | ||||||
25 | Buch selbst nachzulesen; ich führe nur an, daß mein freyer Raum | ||||||
26 | bey Lambert von aller Materie, aber nicht von immateriellen Substanzen | ||||||
27 | leer ist; und meine ungenannte Ursache der freyen Bewegung | ||||||
28 | und des Widerstandes freyer Massen heißt bey ihm ein Vehiculum | ||||||
29 | zur Fortsetzung der Bewegung, welche er durch eine fortgepflanzte | ||||||
30 | Undulation erklärt, vermittelst welcher die bewegte Materie fortgeführt | ||||||
31 | wird. Der Widerstand erfodert ihm ein Haften der Materie an dem | ||||||
32 | Orte, wo sie ist; und dieses Haften erklärt er sich auch durchsein sogenanntes | ||||||
33 | Vehiculum. Er läßt es § 125 unentschieden, ob dieses | ||||||
34 | Vehiculum nicht an verschiedenen Orten verschiedene Intensität habe. | ||||||
35 | Ausser Lambert ist mir von neuern Philosophen keiner vorgekommen, | ||||||
36 | der diese Idee verfolgt hätte. In Sturms Physica electiva T. 1. | ||||||
37 | werden hierüber verschiedene Meynungen zusammengestellt, und am | ||||||
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