Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 223  | 
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| 01 | nach seinen Garten ausserhalb der Stadt, schikte mir aber sogleich | ||||||
| 02 | seinen Bedienten zu, dessen ich mich bedienen sollte, um mich allenthalben | ||||||
| 03 | herumführen zu lassen. Er selbst hofte mich den folgenden Tag | ||||||
| 04 | zu sehen. Ich besuchte ihn daher auch den andern Morgen sobald | ||||||
| 05 | er nur in die Stadt gekommen war. Ich glaube Sie wissen es, da | ||||||
| 06 | er ein kränklicher buckligter Mann ist, der schon mehrmalen seinem | ||||||
| 07 | Tode nahe gewesen, jetzt hatte er sich wieder etwas erhohlt. Seine | ||||||
| 08 | Freude über Ihren Brief war sehr groß. Er sprach mit großer | ||||||
| 09 | Wärme, wobey seine geistreichen und lebhaften Augen strahlten, wie | ||||||
| 10 | sehr, und wie lange er Sie schon schätze, wie Sie ihm schon aus | ||||||
| 11 | Ihren ältesten Abhandlungen bekannt wären. Er sagte, daß er sich | ||||||
| 12 | äusserst freuen würde, Ihnen oder mir irgend einen Dienst erweisen | ||||||
| 13 | zu können. Er bot mir sogleich an seine Vorlesungen zu besuchen, so | ||||||
| 14 | oft ich Vergnügen finde. Den folgenden Tag zeigte er mir seine Instrumentensammlung, | ||||||
| 15 | ich brachte den ganzen Nachmittag bey ihm zu | ||||||
| 16 | und trank Coffée bey ihm. Ich wohnte alle seine Vorlesungen bey, | ||||||
| 17 | so lange ich in Göttingen war, er war eben mit der Electricität beschäftigt. | ||||||
| 18 | Er bot mich nochmals von seinem Bedienten Gebrauch zu | ||||||
| 19 | machen, so viel ich wollte. Ich habe ihn alle Tage besucht und gesprochen, | ||||||
| 20 | weil er so ein äusserst liebenswürdiger und artiger Mann | ||||||
| 21 | ist. Er wird nächstens durch die Post an Sie schreiben. Ich habe | ||||||
| 22 | auch von anderen Professoren gehört, daß er sich so sehr gefreut hat, | ||||||
| 23 | einen Brief von Ihnen erhalten zu haben. Er sagt, er habe durch | ||||||
| 24 | mich einen Brief von dem Propheten aus Norden erhalten. - Ich | ||||||
| 25 | kann Ihnen nicht sagen, wie sehr ich mich beym Anblick des HofR. | ||||||
| 26 | Kaestners in der Vorstellung betrogen fand, die ich mir aus seinen | ||||||
| 27 | Epigrammen und aus dem was ich sonst von ihm gehört und gelesen | ||||||
| 28 | hatte, von seiner Person und Betragen vormals machte. Anstatt | ||||||
| 29 | einen Mann zu finden, für dessen schneidende Zunge man sich nicht | ||||||
| 30 | genug hüten könne, fand ich ein ganz kleines Mänchen im Schlafrok | ||||||
| 31 | und einem runden Perükchen vor einer brennenden Lampe in einer | ||||||
| 32 | überaus heißen Stube sitzend, dem es zwar anzusehen war, daß er | ||||||
| 33 | sich freue, mich zu sehen, nachdem ich einen Grus von Ihnen bestellt | ||||||
| 34 | und Ihren Brief ihm übergeben hatte, der aber aus sichtbarer Verlegenheit | ||||||
| 35 | und Ängstlichkeit, worinn er sich befand nicht zu sprechen vermochte. | ||||||
| 36 | Mehr durch Zeichen als durch Worte nöthigte er mich, zum | ||||||
| 37 | Niederzusitzen, sagte dann unter beständigen Händewinden und Beugen | ||||||
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