Kant: AA XI, Briefwechsel 1790 , Seite 186 |
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Text (Kant):
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| 439. | |||||||
| 02 | An Abraham Gotthelf Kästner. | ||||||
| 03 | 5. Aug. [?] 1790. | ||||||
| 04 | Wohlgeborner, | ||||||
| 05 | Verehrungswürdiger Herr, | ||||||
| 06 | Der Ew. Wohlgebohren Gegenwärtiges zu überreichen die Ehre | ||||||
| 07 | hat, der Medic. Doctor, Hr. Iachmann, mein ehemaliger Zuhörer, | ||||||
| 08 | schmeichelt sich durch meine geringe Fürbitte einige Augenblicke von | ||||||
| 09 | Ihrer geschäftvollen Zeit abzugewinnen, um durch einige Ihrer Winke, | ||||||
| 10 | wie er wohl die kurze Zeit seines Aufenthalts in Göttingen benutzen | ||||||
| 11 | könne, belehrt zu werden. | ||||||
| 12 | Diese Gelegenheit habe ich nicht vorbeilassen wollen, ohne dem | ||||||
| 13 | Nestor aller philosophischen Mathematiker Deutschlands meine unbegrenzte | ||||||
| 14 | Hochachtung zu bezeugen. | ||||||
| 15 | Zugleich sey mir erlaubt, zu erklären, daß meine bisher auf Critik | ||||||
| 16 | gerichtete Bemühungen keinesweges, wie es scheinen konnte, darauf | ||||||
| 17 | angelegt sind, der Leibnitz=Wolfischen Philosophie entgegen zu arbeiten | ||||||
| 18 | (denn die finde ich schon seit geraumer Zeit vernachlässigt) sondern | ||||||
| 19 | nur durch einen Umweg, den wie micht dünkt, obige große Männer | ||||||
| 20 | für überflüssig hielten, in dasselbe Geleise eines schulgerechten Verfahrens, | ||||||
| 21 | und vermittelst desselben, aber nur durch die Verbindung der theoretischen | ||||||
| 22 | Philosophie mit der Praktischen, zu eben demselben Ziele zu | ||||||
| 23 | führen - eine Absicht, die sich klärer an den Tag legen wird, wenn | ||||||
| 24 | ich so lange lebe, um wie ich Vorhabens bin, die Metaphysik in einem | ||||||
| 25 | zusammenhängenden Systeme aufzustellen. | ||||||
| 26 | Es ist eine wahre Freude, einen Mann von Geist, nach allen | ||||||
| 27 | Zweigen desselben in einem hohen nicht kränkelnden Alter noch immer | ||||||
| 28 | so frisch blühen zu sehen. | ||||||
| 29 | Auch zum Schiedsrichter in obigen Streitigkeiten möchte ich ihn | ||||||
| 30 | gern annehmen, wenn es erlaubt wäre, dem Oelbaum zuzumuthen, | ||||||
| 31 | daß er seine Fettigkeit lasse, um über den Bäumen zu schweben. | ||||||
| 32 | Nichts übertrifft die Hochachtung, mit der ich jederzeit bin | ||||||
| 33 | Verehrungswürdiger Mann | ||||||
| 35 | gehors. Diener | ||||||
| 36 | Kant. | ||||||
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