Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 057

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 bezeugen, für den ich eine sehr lebhafte Dankbarkeit fühle; einem Manne,      
  02 dessen Schriften ich hundert mühselige, aber auch eben so viel wollustreiche      
  03 uud belohnende Stunden verdanke, dem ich die Schärfung der      
  04 edelsten und göttlichsten meiner Geisteskräfte hauptsächlich anrechne,      
  05 der den Hader meiner Vernunft mit sich selber schlichtete, den Wirbeln      
  06 trügerischer Sophismen mich entrettete, und über die wichtigsten Angelegenheiten      
  07 menschlichen Nachdenkens mich endlich beruhigte; einem      
  08 Manne, der das Gefühl, auf welches ich, nach Verzichtleistung auf alle      
  09 metaphysische Einsicht meine Freyheit, meine Fortdauer und meine      
  10 steigende Vervollkommnung allein gründete, zum sichern praktischen      
  11 Glauben bestimmte und veredelte, mein moralisches Selbst mich recht      
  12 würdigen, und dem Idol des warhaftig aufgeklärten und rechtschaffnen      
  13 Menschen, Pflicht genannt, mich einzig huldigen lehrte; mit einem      
  14 Wort, einem Manne, der in seinen Untersuchungen unsres praktischen      
  15 Vernunftvermögens eben so liebenswürdig, einfältig und menschlichschön      
  16 erscheint, als er in der Analyse aller Spekulation anfangs furchtbar,      
  17 abschreckend und grausend erscheinen mag.*)      
           
  18 Ia, theuerster Kant, noch fehlt viel daran, daß ich Sie ganz zu      
  19 fassen, zu durchdringen, folglich mit ganzem uneingeschränkten Beyfalle      
  20 zu umfangen, mich rühmen dürfte. Die Deduction der reinen dynamischen      
  21 Grundsätze hat noch immer einige vielleicht nur subjective      
  22 Dunkelheit für mich. Das transscendentale Ich ist ein mir noch unergründeter      
  23 Abgrund. Der Typus, vermöge dessen erscheinende Handlungen      
  24 unter das ganz heterogene moralische Gesetz subsumirt werden sollen,      
  25 ist mir unbegreiflich. Der Gedanke, daß unser edelstes Wissen, selbst      
  26 reine Naturwissenschaft, selbst reine Mathese, nur aus unsern Anschauungs      
  27 und Denkformen möglich, folglich höhern Wesen vermuthlich Trug und      
  28 Täuschung sind, empört und bekümmert mich. Aber bey weitem der      
           
           
    *) Gegenwärtig, da die Kritik auch der praktischen Vernunft erschienen ist, wird der vortrefliche Herder, (der sich sehr darüber ärgern kann, daß man über Gott streitet, - und siehe, gerade die Vernunftkritik macht allem Streite über ihn auf ewig ein Ende) seine ganz unnöthigen Ereifrungen wider die Kantische Philosophie in den Dialogen über Gott, vermuthlich auch bereuen. Unmöglich scheint es mir, jene letzte Kantische Schrift, wenigstens eine Menge Stellen darinnen (z. B. S. 154 etc 233 etc 288 etc) zu lesen, ohne ihrem eben so gefühlvollen als tiefdenkendem Verfasser um den Hals zu fallen, und alles Ereifern, Erhitzen, Poltern und Persifliren, die Waffen der Leidenschaft und nicht der Ueberzeugung, wider ihn auf ewig zu verschwören.      
           
     

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