Kant: AA XI, Briefwechsel 1789 , Seite 027

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Menschenverstande so schmeichelhaft, daß die Philosophie, die ihm ganz      
  02 Gnüge thut, das allgemeinste beste Empfehlungsschreiben vor sich hat.      
  03 Edler Greis! ich zweifelte mit andern, ob Sie in der Critik der praktischen      
  04 Vernunft, da Sie die Triebfedern des Vergnügens von der      
  05 Ehre der Priorität lossagten, nebst allen den Folgen, die daraus entstanden,      
  06 jenem Grundsaze Gnüge gethan hätten? Und war es mir      
  07 erlaubt, etwas von dem Eindruke, den diese Critik nicht gemacht hat,      
  08 zu schließen, so mußte ich folgern, daß sie sich an der Naturstimme      
  09 nicht, wie es zu wünschen war, erprobt habe, da sie es in dieser Angelegenheit      
  10 doch wohl am leichtesten und ersten konnte darauf ankommen      
  11 laßen. Ich weiß nicht, mir schien es, als wenn seitdem der allgemeinere      
  12 Eifer nachgelaßen hätte, gleichsam als wenn die gespannte Erwartung      
  13 auf eine sichere Tugendlehre, - das gröste Bedürfniß unsrer Zeit      
  14 nicht genug sey erfüllt worden. Seitdem ich mich der Philosophie gewidmet      
  15 habe, war das Feld der praktischen Philosophie mein Augenmerk,      
  16 es schien mir zu wenig nach Verdienst bearbeitet und über den      
  17 theologischen Gezänke fast wie vergeßen zu seyn; - aber daß ich in      
  18 der Metaphysik, die, so lieb sie mir sonst der feinen Speculationen      
  19 wegen, die sie zulies, war, beseitigt wurde, nachdem ich ihre Resultate      
  20 zu erkennen glaubte, daß ich in dieser, oder vielmehr in der Critik,      
  21 die sie veranlaßt hat, für meine Lieblingswißenschaft die reinste Quelle      
  22 der Tugend und des Rechts finden würde, das wäre mir nie auch nicht      
  23 im Traume beygekommen. Durch Ihre unvergleichliche Critik, das      
  24 große Meisterstük des menschlichen Scharfsinns, wurde mir der Wert      
  25 der Speculation in dem metaphysischen Felde einleuchtender, und ich      
  26 muß es nur gestehen, es gieng mir bald darauf wie den Herrn      
  27 Alchymisten, ich versprach mir, wo nicht den Stein der Weisen, aber      
  28 gewiß den sichern Weg der Weißheit zu finden. Etwas Licht dazu      
  29 gab Ihre vortrefliche: Grundlegung zur Metaph. der Sitten; das      
  30 Resultat der Forschungen, die sie veranlaßt hat, ist die Critik des      
  31 Willensgeschäftes, wo ich jezt freylich vieles vermiße; indeßen sehen      
  32 Sie es gütig als den Beytrag zur Geschichte meiner Gedanken an.      
  33 Iezt erschien Ihre Critik der prakt. Vernunft - so viel Studium ich      
  34 darauf wenden konnte, habe ich treulich darauf verwand; und auf die      
  35 Sensationen und Urtheile, die sie im Publico hervorbringen würde,      
  36 lauschte ich mit dem leisesten Ohr; - vieles konnte ich nicht genug      
  37 reimen, und nähere Aufschlüße suchte ich vergebens. Was ich suchte,      
           
     

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