Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 262

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Seite nun höher wird, so fällt es gleichfalls, damit es in ein      
  02 Gleichgewicht komme. Diese Erscheinung aber ist nur bei großen Gewässern      
  03 merklich. Wenn das Erdbeben der Länge nach durch die      
  04 Straßen einer Stadt fortgeht, so werden ganze Straßen zerstört,      
  05 indem sich die Häuser von einer Seite zur andern schaukeln und einmal      
  06 über das andere an einander stoßen. Geht es dagegen nach der      
  07 Breite der Straße fort, so werden die Häuser, weil sie sich einstimmig      
  08 bewegen, erhalten.      
           
  09 Zweitens sind aber auch die Stöße, welche nur in einer gewissen Zwischenzeit      
  10 wahrgenommen werden, und die gewöhnlich nicht länger als eine      
  11 Secunde anhalten, zu merken. Dergleichen Stöße sind, da sie von      
  12 unten nach oben und zwar örtlich erfolgen, und weil bei ihnen kein      
  13 Druck und Gegendruck, wie bei der Schaukelung stattfindet, weit gefährlicher      
  14 und zerstörender als die Erdbeben der erstgenannten Art.      
  15 Selbst auf dem Meere sind dergleichen Stöße fürchterlich, und es      
  16 scheint den Schiffern dabei, als würden sie an den Boden des Meeres      
  17 gebracht. Die Ebenen sind der Gefahr des Erdbebens nicht so sehr      
  18 ausgesetzt als die gebirgichten Länder, daher man in Polen und Preußen      
  19 niemals etwas davon bemerkt hat.      
           
  20 Die Erdbeben breiten sich ferner auch nach und nach zu weit      
  21 entlegenen Örtern in einem ununterbrochenen Striche aus, so daß sie      
  22 in kurzem von Lissabon aus bis nach der Insel Martinique fortgehen.      
  23 Merkwürdig ist dies, daß sie einen Weg nehmen, welcher dem      
  24 Striche der Gebirge fast gleich kommt.      
           
  25 Anmerkung 1. Es scheint, daß der Mensch mit jedem Fortschritte seiner      
  26 geistigen Cultur an einer gewissen Schärfe seiner Sinne eine merklichere Abnahme      
  27 erleide, und es kann jenes auch keinen andern Erfolg haben, indem es ihm an      
  28 einer Übung seiner sinnlichen Organe um so mehr mangelt, je ausschließlicher er      
  29 in einer Welt der abgezogenen Contemplation und Betrachtung lebt. Kein Wunder,      
  30 wenn der Matrose schon Schiffe, der Jäger schon einen Vogel erblickt, wo      
  31 wir nicht jene, nicht diesen wahrzunehmen im Stande sind. Aber noch mehr, wir      
  32 haben glaubwürdige Data, daß Menschen bloß vermittelst des Gefühls, oder      
  33 wohl gar des Geruchs Metalle von einander unterscheiden. Ja, in unsern gebildeten      
  34 Ständen giebt es noch immer Leute, die das Anwesendsein gewisser Thiere      
  35 bloß durch den Sinn des Geruches empfinden; und wie viele finden sich, die oft      
  36 bei dem heitersten Himmel bereits die Herannäherung eines Gewitters oder die      
  37 größere Menge elektrischer Bestandtheile der Luft verspüren? Bei der offenbar      
  38 größern Schärfe der Sinne bei den Thieren darf es uns also nicht Wunder      
           
     

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