Kant: AA IX, Immanuel Kants physische ... , Seite 171

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Hätte die Erde gar keine Bewegung: so würden auch keine Cirkel      
  02 auf derselben bestimmt sein. Da sie nun im Gegentheil aber eine zwiefache      
  03 Bewegung hat, eine nämlich um ihre Axe oder ihre tägliche, die      
  04 andere um die Sonne oder ihre jährliche Bewegung: so originiren sich      
  05 daher folgende Punkte und Linien:      
           
  06 I Aus der Bewegung der Erde um ihre Axe entstehen:      
  07 1. Zwei Punkte, die gar keine Bewegung haben, sondern fest sind, und      
  08 um welche sich die ganze Erde bewegt. Diese heißen Pole, nämlich      
  09 Süd= und Nordpol. Die Linie aber, die ich mir durch beide      
  10 Pole gezogen denke, kann die Axe heißen. Sonach haben wir schon      
  11 auf der Kugelfläche, auf der wir gewöhnlich nichts unterscheiden,      
  12 zwei Punkte und eine Linie. Da die Axe aber innerhalb der Kugel      
  13 liegt, so geht sie uns für jetzt nichts weiter an.      
           
  14 2. Durch jene beiden Punkte, die Pole, kann ein Kreis gezogen werden,      
  15 der die Erde der Hälfte nach durchschneidet, und dieser ist der Meridian.      
  16 Nun kann man unendlich viele Meridiane ziehen, weil man      
  17 aus den beiden Punkten viele Kreise zu ziehen im Stande ist.      
  18 Aber wie ziehe ich nun den Meridian eines jeden Ortes? - Diese      
  19 Frage begründet eine neue Art von Punkten, die durch jeden Zuschauer      
  20 bestimmt werden und nicht beständig sind.      
           
  21 In der Mitte der Erde nämlich muß ich, wie in jeder Kugel oder      
  22 Kreisfläche, ein Centrum annehmen. Von diesem kann ich durch      
  23 meinen Standpunkt über meinen Kopf hinaus und von da wieder      
  24 durch das Centrum herab eine Linie ziehen. Dies ist dann der      
  25 Zenith und Nadir, die ein jeder für und durch sich selbst bestimmt.      
  26 Zwischen zwei Punkten kann nur eine Linie gezogen werden. In      
  27 der Erde ist ein Punkt und über mir gleichfalls einer. Beide begrenzen      
  28 eine und dieselbe Linie. Jeder Einzelne hat also seinen      
  29 Zenith, weil ein jeder eine Linie aus dem Centrum über sich heraus      
  30 zu ziehen im Stande ist. Demnach kann auch ein jeder seinen eignen      
  31 Meridian haben. Viele Örter indessen haben einen und denselben      
  32 Meridian, wie z. B. Königsberg und das Vorgebirge der guten      
  33 Hoffnung.      
           
  34 Jeder Meridian theilt die Erde in zwei Theile, den östlichen und      
  35 den westlichen. Diejenigen Örter aber, welche unter einem und      
  36 demselben Meridian liegen, sind nicht östlich oder westlich, sondern      
  37 südlich und nördlich unterschieden, indem hier ein Ort nur näher      
           
           
     

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