Kant: AA VIII, Über die Buchmacherei. ... , Seite 434

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Erfahrungsmethode klug zu sein (das pragmatische Princip) schwerlich      
  02 eine andere Leitung haben wird, als es durch Schaden zu werden. - Nun      
  03 ist aber hier jetzt von einer sicheren, durch die Vernunft vorgezeichneten      
  04 Leitung die Rede, welche nicht wissen will, wie das Volk wählen wird,      
  05 um seinen jedesmaligen Absichten zu gnügen, sondern, wie es unbedingt      
  06 wählen soll: jene mögen für dasselbe zuträglich sein oder nicht (das moralische      
  07 Princip); d. i. es ist davon die Frage: was und wie, wenn das      
  08 Volk zu wählen aufgefordert wird, nach dem Rechtsprincip von ihm      
  09 beschlossen werden muß. Denn diese ganze Aufgabe ist als eine zur      
  10 Rechtslehre (in jenen metaph. Anf. d. R.=L. S. 192) gehörige Frage,      
  11 ob der Souverain einen Mittelstand zwischen ihm und den übrigen      
  12 Staatsbürgern zu gründen berechtigt sei, zu beurtheilen, und da ist      
  13 alsdann der Ausspruch: daß das Volk keine solche untergeordnete Gewalt      
  14 vernunftmäßig beschließen kann und wird, weil es sich sonst den Launen      
  15 und dem Gutdünken eines Unterthans, der doch selbst regiert zu werden      
  16 bedarf, unterwerfen würde, welches sich widerspricht. - Hier ist das      
  17 Princip der Beurtheilung nicht empirisch, sondern ein Princip a priori;      
  18 wie alle Sätze, deren Assertion zugleich Nothwendigkeit bei sich führt,      
  19 welche auch allein Vernunfturtheile (zum Unterschiede der Verstandesurtheile)      
  20 abgeben. Dagegen ist empirische Rechtslehre, wenn sie zur      
  21 Philosophie und nicht zum statuarischen Gesetzbuch gezählt wird, ein      
  22 Widerspruch mit sich selbst.*)      
           
  23 Das war nun gut; aber - wie die alten Muhmen im Märchenton      
  24 zu erzählen pflegen - auch nicht allzugut. Die Fiction nimmt nun      
  25 einen anderen Gang.      
  26 Nachdem nämlich in den sechs folgenden Gouvernements das Volk      
  27 nun zur allgemeinen Freude den Sohn des vorigen gewählt hatte, so      
           
    *) Nach dem Princip der Eudämonie (der Glückseligkeitslehre), worin keine Nothwendigkeit und Allgemeingültigkeit angetroffen wird (indem es jedem Einzelnen überlassen bleibt, zu bestimmen, was er nach seiner Neigung zur Glückseligkeit zählen will) wird das Volk allerdings eine solche erbliche Gouvernementsverfassung wählen dürfen; - nach dem eleutheronomischen aber (von der ein Theil die Rechtslehre ist) wird es keinen subalternen äußeren Gesetzgeber statuiren: weil es sich hiebei als selbst gesetzgebend und diesen Gesetzen zugleich unterthan betrachten und die Praxis sich daher (in Sachen der reinen Vernunft) schlechterdings nach der Theorie richten muß. - Es ist Unrecht so zu decretiren, es mag auch noch so gebräuchlich und sogar in vielen Fällen dem Staat nützlich sein; welches letztere doch niemals gewiß ist.      
           
     

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