Kant: AA VIII, Von einem neuerdings erhobenen ... , Seite 392

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 Wir müssen aber auch nicht den Pythagoras vergessen, von dem      
  02 uns nun freilich zu wenig bekannt ist, um über das metaphysische Princip      
  03 seiner Philosophie etwas Sicheres auszumachen. - Wie bei Plato die      
  04 Wunder der Gestalten (der Geometrie), so erweckten bei Pythagoras      
  05 die Wunder der Zahlen (der Arithmetik), d. i. der Anschein einer gewissen      
  06 Zweckmäßigkeit und eine in die Beschaffenheit derselben gleichsam      
  07 absichtlich gelegte Tauglichkeit zur Auflösung mancher Vernunftaufgaben      
  08 der Mathematik, wo Anschauung a priori (Raum und Zeit) und nicht      
  09 bloß ein discursives Denken vorausgesetzt werden muß, die Aufmerksamkeit,      
  10 als auf eine Art der Magie, lediglich um sich die Möglichkeit nicht      
  11 bloß der Erweiterung unserer Größenbegriffe überhaupt, sondern auch der      
  12 besonderen und gleichsam geheimnißreichen Eigenschaften derselben begreiflich      
  13 zu machen. - Die Geschichte sagt, daß ihn die Entdeckung des      
  14 Zahlverhältnisses unter den Tönen und des Gesetzes, nach welchem sie allein      
  15 eine Musik ausmachen, auf den Gedanken gebracht habe: daß, weil in      
  16 diesem Spiel der Empfindungen die Mathematik (als Zahlenwissenschaft)      
  17 eben sowohl das Princip der Form desselben (und zwar, wie es scheint,      
  18 a priori, seiner Nothwendigkeit wegen) enthält, uns eine, wenn gleich nur      
  19 dunkle, Anschauung einer Natur, die durch einen über sie herrschenden Verstand      
  20 nach Zahlgleichungen geordnet worden, beiwohne; welche Idee dann,      
  21 auf die Himmelskörper angewandt, auch die Lehre von der Harmonie der      
  22 Sphären hervorbrachte. Nun ist nichts die Sinne belebender als die      
  23 Musik; das belebende Princip im Menschen aber ist die Seele; und da      
  24 Musik nach Pythagoras bloß auf wahrgenommenen Zahlverhältnissen beruht,      
  25 und (welches wohl zu merken) jenes belebende Princip im Menschen,      
  26 die Seele, zugleich ein freies, sich selbst bestimmendes Wesen ist: so läßt      
  27 sich seine Definition derselben: anima est numerus se ipsum movens , vielleicht      
  28 verständlich machen und einigermaßen rechtfertigen, wenn man annimmt,      
           
     

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