Kant: AA VIII, Zum ewigen Frieden. Ein ... , Seite 350

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 drittens die nach dem Gesetz der Gleichheit derselben (als Staatsbürger)      
  02 gestiftete Verfassung - die einzige, welche aus der Idee des      
  03 ursprünglichen Vertrags hervorgeht, auf der alle rechtliche Gesetzgebung      
  04 eines Volks gegründet sein muß - ist die republikanische*). Diese      
  05 ist also, was das Recht betrifft, an sich selbst diejenige, welche allen Arten      
  06 der bürgerlichen Constitution ursprünglich zum Grunde liegt; und nun ist      
  07 nur die Frage: ob sie auch die einzige ist, die zum ewigen Frieden hinführen      
  08 kann.      
           
           
    *) Rechtliche (mithin äußere) Freiheit kann nicht, wie man wohl zu thun pflegt, durch die Befugniß definirt werden: alles zu thun, was man will, wenn man nur Keinem Unrecht thut. Denn was heißt Befugniß? Die Möglichkeit einer Handlung, so fern man dadurch Keinem Unrecht thut. Also würde die Erklärung so lauten: Freiheit ist die Möglichkeit der Handlungen, dadurch man Keinem Unrecht thut. Man thut Keinem Unrecht (man mag auch thun, was man will), wenn man nur Keinem Unrecht thut: folglich ist es leere Tautologie. Vielmehr ist meine äußere (rechtliche) Freiheit so zu erklären: sie ist die Befugniß, keinen äußeren Gesetzen zu gehorchen, als zu denen ich meine Beistimmung habe geben können. - Eben so ist äußere (rechtliche) Gleichheit in einem Staate dasjenige Verhältniß der Staatsbürger, nach welchem Keiner den andern wozu rechtlich verbinden kann, ohne daß er sich zugleich dem Gesetz unterwirft, von diesem wechselseitig auf dieselbe Art auch verbunden werden zu können. (Vom Princip der rechtlichen Abhängigkeit, da dieses schon in dem Begriffe einer Staatsverfassung überhaupt liegt, bedarf es keiner Erklärung). - Die Gültigkeit dieser angebornen, zur Menschheit nothwendig gehörenden und unveräußerlichen Rechte wird durch das Princip der rechtlichen Verhältnisse des Menschen selbst zu höheren Wesen (wenn er sich solche denkt) bestätigt und erhoben, indem er sich nach eben denselben Grundsätzen auch als Staatsbürger einer übersinnlichen Welt vorstellt. Denn was meine Freiheit betrifft, so habe ich selbst in Ansehung der göttlichen, von mir durch bloße Vernunft erkennbaren Gesetze keine Verbindlichkeit, als nur so fern ich dazu selber habe meine Beistimmung geben können (denn durchs Freiheitsgesetz meiner eigenen Vernunft mache ich mir allererst einen Begriff vom göttlichen Willen). Was in Ansehung des erhabensten Weltwesens außer Gott, welches ich mir etwa denken möchte (einen großen Äon), das Princip der Gleichheit betrifft, so ist kein Grund da, warum ich, wenn ich in meinem Posten meine Pflicht thue, wie jener Äon es in dem seinigen, mir bloß die Pflicht zu gehorchen, jenem aber das Recht zu befehlen zukommen solle. - Daß dieses Princip der Gleichheit nicht (so wie das der Freiheit) auch auf das Verhältniß zu Gott paßt, davon ist der Grund dieser, weil dieses Wesen das einzige ist, bei dem der Pflichtbegriff aufhört. Was aber das Recht der Gleichheit aller Staatsbürger als Unterthanen betrifft, so kommt es in Beantwortung der Frage von der Zulässigkeit des [Seitenumbruch] Erbadels allein darauf an: ob der vom Staat zugestandene Rang (eines Unterthans vor dem andern) vor dem Verdienst, oder dieses vor jenem vorhergehen müsse. - Nun ist offenbar: daß, wenn der Rang mit der Geburt verbunden wird, es ganz ungewiß ist, ob das Verdienst (Amtsgeschicklichkeit und Amtstreue) auch folgen werde; mithin ist es eben so viel, als ob er ohne alles Verdienst dem Begünstigten zugestanden würde (Befehlshaber zu sein); welches der allgemeine Volkswille in einem ursprünglichen Vertrage (der doch das Princip aller Rechte ist) nie beschließen wird. Denn ein Edelmann ist darum nicht sofort ein edler Mann. Was den Amtsadel (wie man den Rang einer höheren Magistratur nennen könnte, und den man sich durch Verdienste erwerben muß) betrifft, so klebt der Rang da nicht als Eigenthum an der Person, sondern am Posten, und die Gleichheit wird dadurch nicht verletzt: weil, wenn jene ihr Amt niederlegt, sie zugleich den Rang ablegt und unter das Volk zurücktritt. -      
           
     

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