Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 309

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 moralischen Zwecks seines Daseins begriffen sei, und daß dieses zwar bisweilen      
  02 unterbrochen, aber nie abgebrochen sein werde. Diese Voraussetzung      
  03 zu beweisen, habe ich nicht nöthig; der Gegner derselben muß      
  04 beweisen. Denn ich stütze mich auf meine angeborne Pflicht, in jedem      
  05 Gliede der Reihe der Zeugungen - worin ich (als Mensch überhaupt)      
  06 bin, und doch nicht mit der an mir erforderlichen moralischen Beschaffenheit      
  07 so gut, als ich sein sollte, mithin auch könnte - so auf die Nachkommenschaft      
  08 zu wirken, daß sie immer besser werde (wovon also auch die      
  09 Möglichkeit angenommen werden muß), und daß so diese Pflicht von einem      
  10 Gliede der Zeugungen zum andern sich rechtmäßig vererben könne. Es      
  11 mögen nun auch noch so viel Zweifel gegen meine Hoffnungen aus der      
  12 Geschichte gemacht werden, die, wenn sie beweisend wären, mich bewegen      
  13 könnten, von einer dem Anschein nach vergeblichen Arbeit abzulassen;      
  14 so kann ich doch, so lange dieses nur nicht ganz gewiß gemacht werden      
  15 kann, die Pflicht (als das liquidum ) gegen die Klugheitsregel aufs Unthunliche      
  16 nicht hinzuarbeiten (als das illiquidum , weil es bloße Hypothese      
  17 ist) nicht vertauschen; und so ungewiß ich immer sein und bleiben      
  18 mag, ob für das menschliche Geschlecht das Bessere zu hoffen sei, so kann      
  19 dieses doch nicht der Maxime, mithin auch nicht der nothwendigen Voraussetzung      
  20 derselben in praktischer Absicht, daß es thunlich sei, Abbruch thun.      
           
  21 Diese Hoffnung besserer Zeiten, ohne welche eine ernstliche Begierde,      
  22 etwas dem allgemeinen Wohl Ersprießliches zu thun, nie das menschliche      
  23 Herz erwärmt hätte, hat auch jederzeit auf die Bearbeitung der Wohldenkenden      
  24 Einfluß gehabt; und der gute Mendelssohn mußte doch auch      
  25 darauf gerechnet haben, wenn er für Aufklärung und Wohlfahrt der Nation,      
  26 zu welcher er gehörte, so eifrig bemüht war. Denn selbst und für sich      
  27 allein sie zu bewirken, wenn nicht Andere nach ihm auf derselben Bahn      
  28 weiter fort gingen, konnte er vernünftiger Weise nicht hoffen. Bei dem      
  29 traurigen Anblick nicht sowohl der Übel, die das menschliche Geschlecht aus      
  30 Naturursachen drücken, als vielmehr derjenigen, welche die Menschen sich      
  31 unter einander selbst anthun, erheitert sich doch das Gemüth durch die Aussicht,      
  32 es könne künftig besser werden: und zwar mit uneigennützigem Wohlwollen,      
  33 wenn wir längst im Grabe sein und die Früchte, die wir zum Theil      
  34 selbst gesäet haben, nicht einernten werden. Empirische Beweisgründe      
  35 wider das gelingen dieser auf Hoffnung genommenen Entschließungen      
  36 richten hier nichts aus. Denn daß dasjenige, was bisher noch nicht gelungen      
  37 ist, darum auch nie gelingen werde, berechtigt nicht einmal eine      
           
     

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