Kant: AA VIII, Über den Gemeinspruch Das ... , Seite 291

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 ist, sich bloß passiv zu verhalten genöthigt sind, um, wie sie glücklich sein      
  02 sollen, bloß von dem Urtheile des Staatsoberhaupts und, daß dieser es      
  03 auch wolle, bloß von seiner Gütigkeit zu erwarten: ist der größte denkbare      
  04 Despotismus (Verfassung, die alle Freiheit der Unterthanen, die alsdann      
  05 gar keine Rechte haben, aufhebt). Nicht eine väterliche, sondern      
  06 eine vaterländische Regierung ( imperium non paternale, sed patrioticum )      
  07 ist diejenige, welche allein für Menschen, die der Rechte fähig sind,      
  08 zugleich in Beziehung auf das Wohlwollen des Beherrschers gedacht werden      
  09 kann. Patriotisch ist nämlich die Denkungsart, da ein jeder im Staat      
  10 (das Oberhaupt desselben nicht ausgenommen) das gemeine Wesen als      
  11 den mütterlichen Schooß, oder das Land als den väterlichen Boden, aus      
  12 und auf dem er selbst entsprungen, und welchen er auch so als ein theures      
  13 Unterpfand hinterlassen muß, betrachtet, nur um die Rechte desselben durch      
  14 Gesetze des gemeinsamen Willens zu schützen, nicht aber es seinem unbedingten      
  15 Belieben zum Gebrauch zu unterwerfen sich für befugt hält.      
  16 Dieses Recht der Freiheit kommt ihm, dem Gliede des gemeinen Wesens,      
  17 als Mensch zu, so fern dieser nämlich ein Wesen ist, das überhaupt der      
  18 Rechte fähig ist.      
           
  19 2. Die Gleichheit als Unterthan, deren Formel so lauten kann:      
  20 Ein jedes Glied des gemeinen Wesens hat gegen jedes andere Zwangsrechte,      
  21 wovon nur das Oberhaupt desselben ausgenommen ist (darum weil      
  22 er von jenem kein Glied, sondern der Schöpfer oder Erhalter desselben ist),      
  23 welcher allein die Befugniß hat zu zwingen, ohne selbst einem Zwangsgesetze      
  24 unterworfen zu sein. Es ist aber Alles, was unter Gesetzen steht,      
  25 in einem Staate Unterthan, mithin dem Zwangsrechte gleich allen andern      
  26 Mitgliedern des gemeinen Wesens unterworfen; einen Einzigen (physische      
  27 oder moralische Person), das Staatsoberhaupt, durch das aller rechtliche      
  28 Zwang allein ausgeübt werden kann, ausgenommen. Denn könnte      
  29 dieser auch gezwungen werden, so wäre er nicht das Staatsoberhaupt, und      
  30 die Reihe der Unterordnung ginge aufwärts ins Unendliche. Wären aber      
  31 ihrer Zwei (zwangsfreie Personen), so würde keiner derselben unter      
  32 Zwangsgesetzen stehen und Einer dem Andern kein Unrecht thun können:      
  33 welches unmöglich ist.      
           
  34 Diese durchgängige Gleichheit der Menschen in einem Staat, als      
  35 Unterthanen desselben, besteht aber ganz wohl mit der größten Ungleichheit      
  36 der Menge und den Graden ihres Besitzthums nach, es sei an körperlicher      
  37 oder Geistesüberlegenheit über Andere, oder an Glücksgütern außer ihnen      
           
     

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