Kant: AA VIII, Über das Mißlingen ... , Seite 271

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 In Herrn de Lüc Briefen über die Gebirge, die Geschichte der Erde      
  02 und Menschen erinnere ich mich folgendes Resultat seiner zum Theil anthropologischen      
  03 Reise gelesen zu haben. Der menschenfreundliche Verfasser      
  04 war mit der Voraussetzung der ursprünglichen Gutartigkeit unserer Gattung      
  05 ausgegangen und suchte die Bestätigung derselben da, wo städtische      
  06 Üppigkeit nicht solchen Einfluß haben kann, Gemüther zu verderben: in      
  07 Gebirgen, von den schweizerischen an bis zum Harze; und nachdem sein      
  08 Glauben an uneigennützig hülfleistende Neigung durch eine Erfahrung in      
  09 den erstern etwas wankend geworden, so bringt er doch am Ende diese      
  10 Schlußfolge heraus: daß der Mensch, was das Wohlwollen betrifft,      
  11 gut genug sei (kein Wunder! denn dieses beruht auf eingepflanzter      
  12 Neigung, wovon Gott der Urheber ist); wenn ihm nur nicht      
  13 ein schlimmer Hang zur feinen Betrügerei beiwohnte (welches      
  14 auch nicht zu verwundern ist; denn diese abzuhalten beruht auf dem Charakter,      
  15 welchen der Mensch selber in sich bilden muß)! - Ein Resultat      
  16 der Untersuchung, welches ein Jeder, auch ohne in Gebirge gereiset zu sein,      
  17 unter seinen Mitbürgern, ja noch näher, in seinem eignen Busen, hätte      
  18 antreffen können.      
           
           
     

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