Kant: AA VIII, Über das Mißlingen ... , Seite 260 |
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01 | Geschöpfes, wie der Mensch ist, nicht könne getrennt werden (wie etwa | ||||||
02 | Graf Veri in dem Buche über die Natur des Vergnügens behauptet), | ||||||
03 | - würde man erwidern: daß, wenn dem also ist, sich eine andre Frage | ||||||
04 | einfinde, woher nämlich der Urheber unsers Daseins uns überhaupt ins | ||||||
05 | Leben gerufen, wenn es nach unserm richtigen Überschlage für uns nicht | ||||||
06 | wünschenswerth ist. Der Unmuth würde hier, wie jene indianische | ||||||
07 | Frau dem Dschingischan, der ihr wegen erlittener Gewaltthätigkeit | ||||||
08 | keine Genugthuung, noch wegen der künftigen Sicherheit verschaffen | ||||||
09 | konnte, antworten: "Wenn du uns nicht schützen willst, warum eroberst | ||||||
10 | du uns denn?" | ||||||
11 | c) Die dritte Auflösung des Knotens soll diese sein: daß uns Gott | ||||||
12 | um einer künftigen Glückseligkeit willen, also doch aus Güte, in die Welt | ||||||
13 | gesetzt habe, daß aber vor jener zu hoffenden überschwenglich großen | ||||||
14 | Seligkeit durchaus ein mühe= und trübsalvoller Zustand des gegenwärtigen | ||||||
15 | Lebens vorhergehen müsse, wo wir eben durch den Kampf mit Widerwärtigkeiten | ||||||
16 | jener künftigen Herrlichkeit würdig werden sollten. - Allein | ||||||
17 | daß diese Prüfungszeit (der die Meisten unterliegen, und in welcher auch | ||||||
18 | der Beste seines Lebens nicht froh wird) vor der höchsten Weisheit durchaus | ||||||
19 | die Bedingung der dereinst von uns zu genießenden Freuden sein | ||||||
20 | müsse, und daß es nicht thunlich gewesen, das Geschöpf mit jeder Epoche | ||||||
21 | seines Lebens zufrieden werden zu lassen, kann zwar vorgegeben, aber | ||||||
22 | schlechterdings nicht eingesehen werden, und man kann also freilich diesen | ||||||
23 | Knoten durch Berufung auf die höchste Weisheit, die es so gewollt hat, | ||||||
24 | abhauen, aber nicht auflösen: welches doch die Theodicee verrichten zu | ||||||
25 | können sich anheischig macht. | ||||||
26 | III Auf die letzte Anklage, nämlich wider die Gerechtigkeit des Weltrichters,*) | ||||||
27 | wird geantwortet: | ||||||
*) Es ist merkwürdig, daß unter allen Schwierigkeiten, den Lauf der Weltbegebenheiten mit der Göttlichkeit ihres Urhebers zu vereinigen, keine sich dem Gemüth so heftig aufdringt, als die von dem Anschein einer darin mangelnden Gerechtigkeit. Trägt es sich zu (ob es zwar selten geschieht), daß ein ungerechter, vornehmlich Gewalt habender Bösewicht nicht ungestraft aus der Welt entwischt: so frohlockt der mit dem Himmel gleichsam versöhnte, sonst parteilose Zuschauer. Keine Zweckmäßigkeit der Natur wird ihn durch Bewunderung derselben so in Affect setzen und die Hand Gottes gleichsam daran vernehmen lassen. Warum? Sie ist hier moralisch und einzig von der Art, die man in der Welt einigermaßen wahrzunehmen hoffen kann. | |||||||
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