Kant: AA VIII, Idee zu einer allgemeinen ... , Seite 027 |
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01 | Achter Satz. |
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02 | Man kann die Geschichte der Menschengattung im Großen | ||||||
03 | als die Vollziehung eines verborgenen Plans der Natur ansehen, | ||||||
04 | um eine innerlich= und zu diesem Zwecke auch äußerlich | ||||||
05 | vollkommene Staatsverfassung zu Stande zu bringen, als den | ||||||
06 | einzigen Zustand, in welchem sie alle ihre Anlagen in der | ||||||
07 | Menschheit völlig entwickeln kann. Der Satz ist eine Folgerung | ||||||
08 | aus dem vorigen. Man sieht: die Philosophie könne auch ihren Chiliasmus | ||||||
09 | haben; aber einen solchen, zu dessen Herbeiführung ihre Idee, obgleich | ||||||
10 | nur sehr von weitem, selbst beförderlich werden kann, der also nichts weniger | ||||||
11 | als schwärmerisch ist. Es kommt nur darauf an, ob die Erfahrung | ||||||
12 | etwas von einem solchen Gange der Naturabsicht entdecke. Ich sage: etwas | ||||||
13 | Weniges; denn dieser Kreislauf scheint so lange Zeit zu erfordern, | ||||||
14 | bis er sich schließt, daß man aus dem kleinen Theil, den die Menschheit | ||||||
15 | in dieser Absicht zurückgelegt hat, nur eben so unsicher die Gestalt ihrer | ||||||
16 | Bahn und das Verhältniß der Theile zum Ganzen bestimmen kann, als | ||||||
17 | aus allen bisherigen Himmelsbeobachtungen den Lauf, den unsere Sonne | ||||||
18 | sammt dem ganzen Heere ihrer Trabanten im großen Fixsternensystem | ||||||
19 | nimmt; obgleich doch aus dem allgemeinen Grunde der systematischen Verfassung | ||||||
20 | des Weltbaues und aus dem Wenigen, was man beobachtet hat, | ||||||
21 | zuverlässig genug, um auf die Wirklichkeit eines solchen Kreislaufes zu | ||||||
22 | schließen. Indessen bringt es die menschliche Natur so mit sich: selbst in | ||||||
23 | Ansehung der allerentferntesten Epoche, die unsere Gattung treffen soll, | ||||||
24 | nicht gleichgültig zu sein, wenn sie nur mit Sicherheit erwartet werden | ||||||
25 | kann. Vornehmlich kann es in unserem Falle um desto weniger geschehen, | ||||||
26 | da es scheint, wir könnten durch unsere eigene vernünftige Veranstaltung | ||||||
27 | diesen für unsere Nachkommen so erfreulichen Zeitpunkt schneller herbeiführen. | ||||||
28 | Um deswillen werden uns selbst die schwachen Spuren der Annäherung | ||||||
29 | desselben sehr wichtig. Jetzt sind die Staaten schon in einem so | ||||||
30 | künstlichen Verhältnisse gegen einander, daß keiner in der inneren Cultur | ||||||
31 | nachlassen kann, ohne gegen die andern an Macht und Einfluß zu verlieren; | ||||||
32 | also ist, wo nicht der Fortschritt, dennoch die Erhaltung dieses Zwecks der | ||||||
33 | Natur selbst durch die ehrsüchtigen Absichten derselben ziemlich gesichert. | ||||||
34 | Ferner: bürgerliche Freiheit kann jetzt auch nicht sehr wohl angetastet werden, | ||||||
35 | ohne den Nachtheil davon in allen Gewerben, vornehmlich dem Handel, | ||||||
36 | dadurch aber auch die Abnahme der Kräfte des Staats im äußeren Verhältnisse | ||||||
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