Kant: AA VIII, Idee zu einer allgemeinen ... , Seite 020

     
           
 

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Text (Kant):

 

 

 

 
  01 so knapp, so genau auf das höchste Bedürfniß einer anfänglichen      
  02 Existenz abgemessen zu haben, als wollte sie: der Mensch sollte, wenn er      
  03 sich aus der größten Rohigkeit dereinst zur größten Geschicklichkeit, innerer      
  04 Vollkommenheit der Denkungsart und (so viel es auf Erden möglich ist)      
  05 dadurch zur Glückseligkeit empor gearbeitet haben würde, hievon das Verdienst      
  06 ganz allein haben und es sich selbst nur verdanken dürfen; gleich als      
  07 habe sie es mehr auf seine vernünftige Selbstschätzung, als auf ein Wohlbefinden      
  08 angelegt. Denn in diesem Gange der menschlichen Angelegenheit      
  09 ist ein ganzes Heer von Mühseligkeiten, die den Menschen erwarten.      
  10 Es scheint aber der Natur darum gar nicht zu thun gewesen zu sein, da      
  11 er wohl lebe; sondern daß er sich so weit hervorarbeite, um sich durch      
  12 sein Verhalten des Lebens und des Wohlbefindens würdig zu machen. Befremdend      
  13 bleibt es immer hiebei: daß die ältern Generationen nur scheinen      
  14 um der späteren Willen ihr mühseliges Geschäfte zu treiben, um nämlich      
  15 diesen eine Stufe zu bereiten, von der diese das Bauwerk, welches die Natur      
  16 zur Absicht hat, höher bringen könnten; und daß doch nur die spätesten      
  17 das Glück haben sollen, in dem Gebäude zu wohnen, woran eine lange      
  18 Reihe ihrer Vorfahren (zwar freilich ohne ihre Absicht) gearbeitet hatten,      
  19 ohne doch selbst an dem Glück, das sie vorbereiteten, Antheil nehmen zu      
  20 können. Allein so räthselhaft dieses auch ist, so nothwendig ist es doch      
  21 zugleich, wenn man einmal annimmt: eine Thiergattung soll Vernunft      
  22 haben und als Klasse vernünftiger Wesen, die insgesammt sterben, deren      
  23 Gattung aber unsterblich ist, dennoch zu einer Vollständigkeit der Entwickelung      
  24 ihrer Anlagen gelangen.      
           
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Vierter Satz.
     
           
  26 Das Mittel, dessen sich die Natur bedient, die Entwickelung      
  27 aller ihrer Anlagen zu Stande zu bringen, ist der Antagonism      
  28 derselben in der Gesellschaft, so fern dieser doch am      
  29 Ende die Ursache einer gesetzmäßigen Ordnung derselben wird.      
  30 Ich verstehe hier unter dem Antagonism die ungesellige Geselligkeit      
  31 der Menschen, d. i. den Hang derselben in Gesellschaft zu treten, der doch      
  32 mit einem durchgängigen Widerstande, welcher diese Gesellschaft beständig      
  33 zu trennen droht, verbunden ist. Hiezu liegt die Anlage offenbar in der      
  34 menschlichen Natur. Der Mensch hat eine Neigung sich zu vergesellschaften:      
  35 weil er in einem solchen Zustande sich mehr als Mensch, d. i.      
           
     

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