Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 319

   
         
 

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  01 des trotzigen Engländers ist); vornehmlich aber eine gewisse Methodensucht,    
  02 sich mit den übrigen Staatsbürgern nicht etwa nach einem Princip    
  03 der Annäherung zur Gleichheit, sondern nach Stufen des Vorzugs    
  04 und einer Rangordnung peinlich classificiren zu lassen und in diesem    
  05 Schema des Ranges, in Erfindung der Titel (vom Edlen und Hochedlen,    
  06 Wohl= und Hochwohl=, auch Hochgeboren) unerschöpflich und so aus bloßer    
  07 Pedanterei knechtisch zu sein; welches alles freilich wohl der Form der    
  08 Reichsverfassung Deutschlands zugerechnet werden mag; dabei aber sich    
  09 die Bemerkung nicht bergen läßt, daß doch das Entstehen dieser pedantischen    
  10 Form selber aus dem Geiste der Nation und dem natürlichen Hange    
  11 des Deutschen hervorgehe: zwischen dem, der herrschen, bis zu dem, der    
  12 gehorchen soll, eine Leiter anzulegen, woran jede Sprosse mit dem Grade    
  13 des Ansehens bezeichnet wird, der ihr gebührt, und der, welcher kein Gewerbe,    
  14 dabei aber auch keinen Titel hat, wie es heißt, Nichts ist; welches    
  15 denn dem Staate, der diesen ertheilt, freilich was einbringt, aber auch,    
  16 ohne hierauf zu sehen, bei Unterthanen Ansprüche, anderer Wichtigkeit in    
  17 der Meinung zu begrenzen, erregt, welches andern Völkern lächerlich vorkommen    
  18 muß und in der That als Peinlichkeit und Bedürfniß der methodischen    
  19 Eintheilung, um ein Ganzes unter einen Begriff zu fassen, die    
  20 Beschränkung des angebornen Talents verräth.    
         
  21 Da Rußland das noch nicht ist, was zu einem bestimmten Begriff    
  22 der natürlichen Anlagen, welche sich zu entwickeln bereit liegen, erfordert    
  23 wird, Polen aber es nicht mehr ist, die Nationalen der europäischen    
  24 Türkei aber das nie gewesen sind noch sein werden, was zur Aneignung    
  25 eines bestimmten Volkscharakters erforderlich ist: so kann die    
  26 Zeichnung derselben hier füglich übergangen werden.    
  27 Überhaupt da hier vom angebornen, natürlichen Charakter, der so zu    
  28 sagen in der Blutmischung der Menschen liegt, nicht von dem Charakteristischen    
  29 des erworbenen, künstlichen (oder verkünstelten) der Nationen die    
  30 Rede ist: so wird man in der Zeichnung desselben viel Behutsamkeit nöthig    
  31 haben. In dem Charakter der Griechen unter dem harten Druck der    
  32 Türken und dem nicht viel sanfteren ihrer Caloyers hat sich eben so    
  33 wenig ihre Sinnesart (Lebhaftigkeit und Leichtsinn), wie die Bildung    
  34 ihres Leibes, Gestalt und Gesichtszüge verloren, sondern diese Eigenthümlichkeit    
         
     

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