Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 310 |
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01 | seiner Frau vor allem anderen am Herzen liege. Weil aber der Mann | ||||||
02 | am besten wissen muß, wie er stehe und wie weit er gehen könne: so wird | ||||||
03 | er, wie ein Minister seinem blos auf Vergnügen bedachten Monarchen, | ||||||
04 | der etwa ein Fest oder den Bau eines Palais beginnt, auf dieses seinen | ||||||
05 | Befehl zuerst seine schuldige Willfährigkeit dazu erklären; nur daß z.B. | ||||||
06 | für jetzt nicht Geld im Schatze sei, daß gewisse dringendere Nothwendigkeiten | ||||||
07 | zuvor abgemacht werden müssen u. s. w., so daß der höchstgebietende | ||||||
08 | Herr alles thun kann, was er will, doch mit dem Umstande, daß diesen | ||||||
09 | Willen ihm sein Minister an die Hand giebt. | ||||||
10 | Da sie gesucht werden soll (denn das will die dem Geschlecht nothwendige | ||||||
11 | Weigerung), so wird sie doch in der Ehe selbst allgemein zu gefallen | ||||||
12 | suchen müssen, damit, wenn sie etwa junge Wittwe würde, sich Liebhaber | ||||||
13 | für sie finden. - Der Mann legt alle solche Ansprüche mit der | ||||||
14 | Eheverbindung ab. - Daher ist die Eifersucht aus dem Grunde dieser | ||||||
15 | Gefallsucht der Frauen ungerecht. | ||||||
16 | Die eheliche Liebe aber ist ihrer Natur nach intolerant. Frauen | ||||||
17 | spotten darüber zuweilen, aber, wie bereits oben bemerkt worden, im | ||||||
18 | Scherz; denn bei dem Eingriffe Fremder in diese Rechte duldend und | ||||||
19 | nachsichtlich zu sein, müßte Verachtung des weiblichen Theils und hiemit | ||||||
20 | auch Haß gegen einen solchen Ehemann zur Folge haben. | ||||||
21 | Daß gemeiniglich Väter ihre Töchter und Mütter ihre Söhne verziehen, | ||||||
22 | und unter den letzteren der wildeste Junge, wenn er nur kühn ist, | ||||||
23 | gemeiniglich von der Mutter verzogen wird: das scheint seinen Grund in | ||||||
24 | dem Prospect auf die Bedürfnisse beider Ältern in ihrem Sterbefall zu | ||||||
25 | haben; denn wenn dem Manne seine Frau stirbt, so hat er doch an seiner | ||||||
26 | ältesten Tochter eine ihn pflegende Stütze; stirbt der Mutter ihr Mann | ||||||
27 | ab, so hat der erwachsene, wohlgeartete Sohn die Pflicht auf sich und auch | ||||||
28 | die natürliche Neigung in sich, sie zu verehren, zu unterstützen und ihr | ||||||
29 | das Leben als Wittwe angenehm zu machen. | ||||||
30 | Ich habe mich bei diesem Titel der Charakteristik länger aufgehalten, | ||||||
31 | als es für die übrigen Abschnitte der Anthropologie proportionirlich scheinen | ||||||
32 | mag; aber die Natur hat auch in diese ihre Ökonomie einen so reichen | ||||||
33 | Schatz von Veranstaltungen zu ihrem Zweck, der nichts Geringeres ist als | ||||||
34 | die Erhaltung der Art, hinein gelegt, daß bei Gelegenheit näherer Nachforschungen | ||||||
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