Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 300 |
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01 | und eine Frau kann auf den Besitz eines solchen Ehemannes stolz sein. | ||||||
02 | Ein solches Gesicht ist nicht Caricatur, denn diese ist vorsetzlich=übertriebene | ||||||
03 | Zeichnung (Verzerrung) des Gesichts im Affect, zum Auslachen | ||||||
04 | ersonnen und gehört zur Mimik; es muß vielmehr zu einer Varietät gezählt | ||||||
05 | werden, die in der Natur liegt, und ist kein Fratzengesicht zu nennen | ||||||
06 | (welches abschreckend wäre), sondern kann Liebe erwecken, ob es gleich nicht | ||||||
07 | lieblich und, ohne schön zu sein, doch nicht häßlich ist*). | ||||||
08 | C. |
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09 | Von dem Charakteristischen der Mienen. |
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10 | Mienen sind ins Spiel gesetzte Gesichtszüge, und in dieses wird man | ||||||
11 | durch mehr oder weniger starken Affect gesetzt, zu welchem der Hang ein | ||||||
12 | Charakterzug des Menschen ist. | ||||||
13 | Es ist schwer den Eindruck eines Affects durch keine Miene zu verrathen; | ||||||
14 | er verräth sich durch die peinliche Zurückhaltung in der Geberde | ||||||
15 | oder im Ton von selbst, und wer zu schwach ist, seine Affecten zu beherrschen, | ||||||
16 | bei dem wird auch das Mienenspiel (wider den Dank seiner Vernunft) | ||||||
17 | das Innere blosstellen, was er gern verbergen und den Augen | ||||||
18 | anderer entziehen möchte. Aber die, welche in dieser Kunst Meister sind, | ||||||
19 | werden, wenn man sie doch erräth, nicht eben für die besten Menschen, mit | ||||||
20 | denen man im Vertrauen handeln kann, gehalten; vornehmlich wenn sie | ||||||
21 | Mienen zu künsteln geübt sind, die dem, was sie thun, widersprechen. | ||||||
*) Heidegger, ein deutscher Musikus in London, war ein abenteuerlich gestalteter, aber aufgeweckter und gescheuter Mann, mit dem auch Vornehme der Conversation halber gerne in Gesellschaft waren. - Einsmals fiel es ihm ein, in einer Punschgesellschaft gegen einen Lord zu behaupten: daß er das häßlichste Gesicht in London sei. Der Lord sann nach und schlug eine Wette vor, daß er ihm ein noch häßlicheres aufstellen wollte, und nun ließ er ein versoffenes Weib rufen, bei deren Anblick die ganze Gesellschaft in ein helles Lachen gerieth und ausrief: "Heidegger! ihr habt die Wette verloren!" - "Das geht so geschwind nicht", antwortete dieser; "denn nun laßt das Weib meine Perrücke und ich will ihre Cornette aufsetzen; dann wollen wir sehen." Wie das geschah, so fiel alles ins Lachen bis zum Sticken: denn das Weib sah wie ein ganz manierlicher Mann, der Kerl aber wie eine Hexe aus. Dies beweist, daß, um jemanden schön, wenigstens erträglich hübsch zu heißen, man sein Urtheil nicht schlechthin, sondern immer nur relativ fällen muß und daß für einen Kerl jemand darum noch gar nicht häßlich heißen dürfe, weil er etwa nicht hübsch ist. - Nur ekelhafte Leibesschäden im Gesicht können zu diesem Ausspruch berechtigen. | |||||||
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