Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 291

   
         
 

Zeile:

 

Text (Kant):

 

Verknüpfungen:

 

 

 
  01 wenn das cholerische mit dem phlegmatischen in einem und demselben    
  02 Subject als vereinigt gedacht werden will: denn sie (A und B, imgleichen    
  03 C und D) stehen gegen einander im Widerspruch. - Das zweite, nämlich    
  04 die Neutralisirung, würde in der (gleichsam chemischen) Mischung des    
  05 sanguinischen mit dem cholerischen und des melancholischen mit dem phlegmatischen    
  06 (A und C, imgleichen B und D) geschehen. Denn die gutmüthige    
  07 Fröhlichkeit kann nicht in demselben Act mit dem abschreckenden    
  08 Zorn zusammenschmelzend gedacht werden, eben so wenig wie die Pein    
  09 des Selbstquälers mit der zufriedenen Ruhe des sich selbst gnugsamen    
  10 Gemüths. - Soll aber einer dieser zwei Zustände in demselben Subject    
  11 mit dem andern wechseln, so giebt das bloße Launen, aber kein bestimmtes    
  12 Temperament ab.    
         
  13 Also giebt es keine zusammengesetzte Temperamente, z. B. ein    
  14 sanguinisch=cholerisches (welches die Windbeutel alle haben wollen, indem    
  15 sie alsdann gnädige, aber doch auch strenge Herrn zu sein vorgaukeln),    
  16 sondern es sind in Allem deren nur vier und jedes derselben einfach, und    
  17 man weiß nicht, was aus dem Menschen gemacht werden soll, der sich ein    
  18 gemischtes zueignet.    
         
  19 Frohsinn und Leichtsinn, Tiefsinn und Wahnsinn, Hochsinn und    
  20 Starrsinn, endlich Kaltsinn und Schwachsinn sind nur als Wirkungen    
  21 des Temperaments in Beziehung auf ihre Ursache unterschieden.*)    
         
  22

III.

[ entsprechender Abschnitt in den Reflexionen zur Antropologie (AA XV, 511) ]    
  23

Vom Charakter als der Denkungsart.

   
         
  24 Von einem Menschen schlechthin sagen zu können: "Er hat einen    
  25 Charakter" heißt sehr viel von ihm nicht allein gesagt, sondern auch    
         
    *) Welchen Einfluß die Verschiedenheit des Temperaments auf die öffentlichen Geschäfte, oder umgekehrt diese (durch die Wirkung, die die gewohnte Übung in diesen auf jenes hat) haben, will man dann auch theils durch Erfahrung, theils auch mit Beihülfe der muthmaßlichen Gelegenheitsursachen erklügelt haben. So heißt es z. B. In der Religion ist der Choleriker orthodox, der Sanguinische Freigeist, der Melanch. Schwärmer, der Phleg. Indifferentist. Allein das sind so hingeworfene Urtheile, die für die Charakteristik so viel gelten, als scurrilischer Witz ihnen einräumt ( valent, quantum possunt ).    
         
     

[ Seite 290 ] [ Seite 292 ] [ Inhaltsverzeichnis ]