Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 267 |
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01 | Daher sind Leidenschaften nicht blos, wie die Affecten unglückliche | ||||||
02 | Gemüthsstimmungen, die mit viel Übeln schwanger gehen, sondern auch | ||||||
03 | ohne Ausnahme böse, und die gutartigste Begierde, wenn sie auch auf | ||||||
04 | das geht, was (der Materie nach) zur Tugend, z. B. der Wohlthätigkeit | ||||||
05 | gehörte, ist doch (der Form nach), so bald sie in Leidenschaft ausschlägt, | ||||||
06 | nicht blos pragmatisch verderblich, sondern auch moralisch verwerflich. | ||||||
08 | Der Affect thut einen augenblicklichen Abbruch an der Freiheit und | ||||||
09 | der Herrschaft über sich selbst. Die Leidenschaft giebt sie auf und findet | ||||||
10 | ihre Lust und Befriedigung am Sklavensinn. Weil indessen die Vernunft | ||||||
11 | mit ihrem Aufruf zur innern Freiheit doch nicht nachläßt, so seufzt der | ||||||
12 | Unglückliche unter seinen Ketten, von denen er sich gleichwohl nicht losreißen | ||||||
13 | kann: weil sie gleichsam schon mit seinen Gliedmaßen verwachsen | ||||||
14 | sind. | ||||||
15 | Gleichwohl haben die Leidenschaften auch ihre Lobredner gefunden | ||||||
16 | (denn wo finden die sich nicht, wenn einmal Bösartigkeit in Grundsätzen | ||||||
17 | Platz genommen hat?), und es heißt: "daß nie etwas Großes in der Welt | ||||||
18 | ohne heftige Leidenschaften ausgerichtet worden, und die Vorsehung selbst | ||||||
19 | habe sie weislich gleich als Springfedern in die menschliche Natur gepflanzt." | ||||||
20 | Von den mancherlei Neigungen mag man wohl dieses zugestehen, | ||||||
21 | deren, als eines natürlichen und thierischen Bedürfnisses, die | ||||||
22 | lebende Natur (selbst die des Menschen) nicht entbehren kann. Aber daß | ||||||
23 | sie Leidenschaften werden dürften, ja wohl gar sollten, hat die Vorsehung | ||||||
24 | nicht gewollt, und sie in diesem Gesichtspunkt vorstellig zu machen, | ||||||
25 | mag einem Dichter verziehen werden (nämlich mit Pope zu sagen: "Ist | ||||||
26 | die Vernunft nun ein Magnet, so sind die Leidenschaften Winde"); aber | ||||||
27 | der Philosoph darf diesen Grundsatz nicht an sich kommen lassen, selbst | ||||||
28 | nicht um sie als eine provisorische Veranstaltung der Vorsehung zu preisen, | ||||||
29 | welche absichtlich, ehe das menschliche Geschlecht zum gehörigen Grade der | ||||||
30 | Cultur gelangt wäre, sie in die menschliche Natur gelegt hätte. | ||||||
31 | Eintheilung der Leidenschaften. |
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32 | Sie werden in die Leidenschaften der natürlichen (angebornen) | ||||||
33 | und die der aus der Cultur der Menschen hervorgehenden (erworbenen) | ||||||
34 | Neigung eingetheilt. | ||||||
35 | Die Leidenschaften der ersteren Gattung sind die Freiheits= und | ||||||
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