Kant: AA VII, Anthropologie in pragmatischer ... , Seite 236

   
         
 

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  01 und eine Stärke, den Zustand sowohl der Lust als Unlust zuzulassen,    
  02 oder auch vom Gemüth abzuhalten, und hat also eine Wahl. Dagegen    
  03 ist Empfindelei eine Schwäche, durch Theilnehmung an anderer    
  04 ihrem Zustande, die gleichsam auf dem Organ des Empfindelnden    
  05 nach Belieben spielen können, sich auch wider Willen afficiren zu lassen.    
  06 Die erstere ist männlich: denn der Mann, welcher einem Weibe oder Kinde    
  07 Beschwerlichkeiten oder Schmerz ersparen will, muß so viel feines Gefühl    
  08 haben, als nöthig ist, um anderer ihre Empfindung nicht nach seiner    
  09 Stärke, sondern ihrer Schwäche zu beurtheilen, und die Zartheit    
  10 seiner Empfindung ist zur Großmuth nothwendig. Dagegen ist die thatleere    
  11 Theilnehmung seines Gefühls, sympathetisch zu anderer ihren Gefühlen    
  12 das seine mittönen und sich so blos leidend afficiren zu lassen,    
  13 läppisch und kindisch. - So kann und sollte es Frömmigkeit in guter    
  14 Laune geben; so kann und soll man beschwerliche, aber nothwendige Arbeit    
  15 in guter Laune verrichten; ja selbst sterben in guter Laune: denn alles    
  16 dieses verliert seinen Werth dadurch, daß es in übler Laune und mürrischer    
  17 Stimmung begangen oder erlitten wird.    
         
  18 Von dem Schmerz, über dem man vorsetzlich als einem, der nie anders    
  19 als mit dem Leben aufhören soll, brütet, sagt man, daß jemand sich etwas    
  20 (ein Übel) zu Gemüthe ziehe. - Man muß sich aber nichts zu Gemüthe    
  21 ziehen; denn was sich nicht ändern läßt, muß aus dem Sinn geschlagen    
  22 werden: weil es Unsinn wäre, das Geschehene ungeschehen machen zu    
  23 wollen. Sich selbst bessern geht wohl an und ist auch Pflicht; an dem    
  24 aber, was schon außer meiner Gewalt ist, noch bessern zu wollen, ist ungereimt.    
  25 Aber etwas zu Herzen nehmen, worunter jeder gute Rath    
  26 oder Lehre verstanden wird, die man sich angelegen zu sein den festen    
  27 Vorsatz faßt, ist eine überlegte Gedankenrichtung, seinen Willen mit genugsam    
  28 starkem Gefühl zur Ausübung desselben zu verknüpfen. - Die    
  29 Buße des Selbstpeinigers statt der schnellen Verwendung seiner Gesinnung    
  30 auf einen besseren Lebenswandel ist rein verlorene Mühe und    
  31 hat noch wohl die schlimme Folge, blos dadurch (durch die Reue) sein    
  32 Schuldregister für getilgt zu halten und so sich die vernünftiger Weise jetzt    
  33 noch zu verdoppelnde Bestrebung zum Besseren zu ersparen.    
         
  34 § 63. Eine Art sich zu vergnügen ist zugleich Cultur: nämlich Vergrößerung    
  35 der Fähigkeit noch mehr Vergnügen dieser Art zu genießen;    
  36 dergleichen das mit Wissenschaften und schönen Künsten ist. Eine andere    
  37 Art aber ist Abnutzung: welche uns des ferneren Genusses immer    
         
     

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